Calsow, Juan

Juan Calsow an Ernst Haeckel, Madidi, 7. August 1904

DEVÈS & CIE

Madidi, 7 August de 1904

Herrn | Professor Dr Ernst Haeckel | Jena

Hochgeehrter Herr Professor!

In Zeitungen aus Monat März, die mir gestern zugegangen sind, lese ich, daß in vielen Vereinigungen Ihr Namenstag festlich begangen wird. Wenn derselbe nun auch schon längst vorüber ist, so drängt es doch auch mich, Ihnen meine Glückwünsche darzubringen, die, wenn auch spät und aus weiter Ferne aus nicht minder aufrichtigen Herzen kommen.

Die Ursache meines Glückwunsches ist Ihre Bekenntnisschrift „Die Welträtsel“. Vor einigen Wochen auf einer Reise im Beni bekam ich sie zu zufällig zu lesen. Sie erweckten mein ganzes Interesse, weil ich in ihnen Gedanken klar ausgesprochen fand, welche mich seit Jahren lebhaft beschäftigten, ohne daß es mir möglich gewesen wäre, mich zu ihrem durchzuringen, da ich wohl noch zu tief in den Fesseln der in der Schule gelieferten Weisheit steckte.

Ihre Schrift wirkte Wunder. Während ich früher, wegen vollständiger Abgeschlossenheit von der Welt und deswegen auch jeder geistigen Anregung entbehrend, oft gedrückt und gleichgültig in den Tag hineinlebte, fühle ich mich heute geistig wie neu geboren, frei und heiter. Und frei und heiter sollen auch meine Leute – Indianer, die Gummi arbeiten – leben, in deren Behandlung ich schon früher, im Gegensatz zu dem hier herrschenden System, einen Ausgleich || zwischen Egoismus und Altruismus suchte, weil wohl ein gewisses dunkles Ahnen mich unter allmählicher Verkennung mystischen Gefühlsduseleien der Natur gewaltsam in die Arme trieb.

Doch genug. Da es mir schwer fällt, von hier aus Ihre Lehre, den Monismus, betreffende Bücher zu bekommen, weil ich sie nicht kenne, wage ich es, Sie zu bitten, mir die große Güte zu erweisen, mir einige Schriften zukommen zu lassen. Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn sich unter denselben das Werk des Grafen von Hoensbroech um die eine oder andere Gegenschrift, sei es a auch die des Dunkelmanns Paulssen befänden.

Zum Ankauf der Bücher, deren Auswahl ich Ihnen überlasse, werden Sie von meiner alten Mutter, die ich nicht belästigen möchte, da sie sich vielleicht meiner Weltanschauung wegen sorgt, Mks 80 empfangen. Sollte von diesem Geld eine Kleinigkeit übrig bleiben, so bitte ich Sie, dieselbe einer Universitätskasse oder einer armen Familie zu überweisen unter Verschweigen meines Namens.

Falls, Ihnen, Herr Professor, die nötige Zeit zur Erfüllung meines Wunsches fehlen sollte, so ersuche ich Sie, einen Ihrer Herrn Assistenten mit meiner Bitte zu betrauen. Ich lege die Sache an Ihr Herz, wo sie gut aufgehoben wird, und es wird geschehen, was möglich ist.

Indem ich Ihnen für die Erfüllung meiner Bitte im voraus meinen tiefen Dank ausspreche, bleibe || ich in Erwartung Ihrer geneigten Antwort mit aufrichtiger Hochachtung

Ergebenst

Juan Calson

Meine Adresse lautet:

Señor | Juan Calsow | Madidi | Beni | via Pará | Bolivia

a gestr.: d

 

Letter metadata

Author
Recipient
Dating
07.08.1904
Place of origin
Country of origin
Possessing institution
EHA Jena
Signature
EHA Jena, A 4803
ID
4803