Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 12. September 1896

Friedrichshagen bei Berlin, Ahorn Allee 19.

12.IX.96.

Hochverehrter Herr Professor!

Ich sende Ihnen gleichzeitig einen vorläufigen Abzug einiger Worte über Ihre „Systematische Phylogenie, Bd. I und III," die voraussichtlich im Oktoberheft der „Deutschen Rundschau" erscheinen werden.

Seit vierzehn Tagen bin ich wieder hier im alten lieben Kiefernwald. Ich bin nahezu den ganzen Sommer in den Alpen gewesen und habe prachtvolle Touren gemacht. Von der Furka durch‘s ganze Rhonethal nach Zermatt, dann zum Genfer See. Später habe ich noch schöne Wochen in Murg am Wallensee || verlebt, ich weiß nicht, ob Sie diese Gegend kennen, sie ist noch ziemlich weltverloren und naiv; dabei aber von außerordentlichem Reiz. Der Schnee lag in diesem Jahr noch im Juli sehr fest, die Tour auf den Gornergrat bei Zermatt gestaltete sich zur reinen Hochgebirgstour. Um so köstlicher aber war die eben aufgeblühte Alpenflora, die blauen Soldanella-Glöckchen kamen eben aus dem Schnee, und in Zermatt habe ich zum ersten Mal wirklich in Alpenrosen geschwelgt. Ich war mit meinen liebsten Bekannten, Julius Hart und Frau, zusammen. – Hier bin ich jetzt wieder ganz in der Einsamkeit, der Winter wird || sehr still werden. Führt Sie der Weg nicht einmal wieder an Berlin vorüber? Sie finden mich hier draußen in einem großen Garten unmittelbar am Wald, – sicherlich in einem der gesündesten und erträglichsten Winkel, den die Nähe des Ungetüms Berlin gewähren kann.

Herzlichst Ihr W. Bölsche

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.09.1896
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9577
ID
9577