Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 15. Oktober 1892

Friedrichshagen b. Berlin.

Wilhelmstr. 72.

15.X.92.

Hochverehrter Herr Professor!

Vom Pauli‘schen Verlag wird Ihnen das erste Heft der Arbeit zugegangen sein, die ich vor einiger Zeit bereits erwähnte. Durch die hübsche Ausstattung hat das Ganze ein gewichtigeres Ansehen gewonnen, als ich eigentlich darin suchte. Zu dem, wie ich hoffe, wirklich recht gemeinnützigen Gesammtunternehmen dieses „Hausschatzes des Wissens" soll es eine Art methodologischer Einführung bilden, die zum Naturstudium anregt und eine allgemeine freie Weltanschauung weiter begründen hilft.

Der Grundstock des Buches || entstand durch eine Reihe von Vorträgen, die ich im vorigen Jahre in geschlossenem Verein hier gehalten. Der Verleger, der einen Teil anhörte, hielt sie für geeignet, eine erste, einführende Abteilung seines vielbändigen Unternehmens zu bilden. Wie ich mich dann an die Arbeit machte, das rasch Improvisierte druckfähig zu machen suchte, stellte sich allerdings heraus, daß die sorglos und frei extemporierten Einzelkapitel einen unerwartet großen Raum einnehmen. Beinah ein Viertel des Buches füllt allein eine Uebersicht der geschichtlichen Entwickelung der modernen Forschungsmethode. Ich habe indessen || die lose Composition so gelassen, − das Buch soll anregen und den Blick auf‘s Ganze schärfen helfen, ohne irgendwie ein Compendium darzustellen. Klarheit des Ziels, vielleicht auch etwas Gelenkigkeit des Ausdrucks trösten mich wenigstens etwas über meine Zweifel, ob meine Fähigkeiten dem Stoff gewachsen sind. Sie werden schärfer als irgend einer die Lücken und Detailfehler sehen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als dürfte ich mich einer zufälligen und günstigen Gelegenheit nicht entziehen, wo einmal wieder weiten Leserkreisen eine Grundlage zu dem Besten, was unsere zerrissene Zeit bietet: der Freude an der Natur, geboten werden soll. Der Preis der Hefte (30 Pf.) || ist bei der zum Teil wenigstens wohl recht brauchbaren Illustrierung ein so ungewöhnlich geringer, dass ich hoffen darf, das Buch kommt auch in solche Kreise, wo, (wie ich leider aus Erfahrung weiß, denn ich habe manche Arbeiterbibliothek durchgesehen!) dem Bildungsbedürfniß wirkliche „Aufklärungs-Schundwaare” (populäre Bücher, die mehr verderben als nützen und mit parteipolitischen Brocken ihre Unfähigkeit verdecken!) entgegengebracht zu werden pflegt.

Hat die Cholera-Gefahr Ihre Spreewald-Tour gehemmt? Ich habe im Sommer eine Reihe wundervoller Natureindrücke im Hochgebirge gesammelt: wertvollerer Erwerb als ein Jahr großstädtischen Kampfes bietet!

In treuer Verehrung

Ihr Wilhelm Bölsche

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.10.1892
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9559
ID
9559