Carneri, Bartholomäus von

Bartholomäus von Carneri an Ernst Haeckel, Schloss Wildhaus, 14. August 1878

Wildhaus, 14. Aug. 1878.

Mein hochverehrter Herr und Freund!

Wer weiß, wo Sie jetzt sind? Allein diese Zeilen werden Ihnen gewiß nachgesendet, und finden Sie wo immer. Nur aus Bescheidenheit habe ich Ihnen nicht früher für Brief und Broschüre gedankt, die beide für mich unschätzbar sind. Schon Ihr Brief sagt mir, daß in der Hauptsache ein wesentlicher Unterschied zwischen unserer Beurtheilung des Seelenlebens nicht besteht. Ich bitte, mir diese Worte ja nicht als Anmaßung auszulegen, als wollte ich irgendwie meine geringe Thätigkeit mit der Ihrigen vergleichen. Ich leiste eben, was ich kann auf dem Felde des Monismus, und in dem einen Punkte läßt sich mein Strebena dahin zusammenfassen, daß ich Ihre Seelenhypothese als vom philosophischen Standpunkt aus widerspruchlos erweisen will. Ich zweifle nicht mehr, daß es mir gelingt; wenn ich noch etwas bezweifle, || so ist es, ob ich Sie zufriedenstellen werde; aber auch das hoffe ich jetzt. Großentheils in reellen Erscheinungen sich bewegend, können Sie leicht – denn Sie sehen ja leibhaftig bei Ihren Untersuchungen – gleichgiltiger sich verhalten zu gewissen Ausdrücken. Bei unser Einem kommt alles auf den Ausdruck an, und eigentlich gehen wir nur in den Ausdrücken auseinander. So brauchen Sie z. B. das Wort Wille auf einer Stufe der Bewegung, auf der ich es von meinem ethischen Standpunkt aus nicht brauchen kann, ohne wichtige Begriffe zu verwirren. Aber alle Unterschiede sind graduelle, und wie bei Ihnen, ist bei mir das Letzte reine Mechanik.

Ihre Entgegnung auf Virchow’s Münchnerrede war und ist mir ein wahrer Genuß. Man kann nicht geistvoller, aber auch nicht boshafter sein, und ich habe so viel Sinn für energische Polemik. Manchmal war mir, als müßten Sie’s fühlen, wie ich Sie im Geiste an’s Herz drücke, wie || meine gesammte Zellseele aufwallte und alle meine Seelenzellen Ihnen entgegen zitterten.

Du Bois-Reymond stehe ich betreffend die Gränzen der Wissenschaft nicht weniger schroff entgegen als Sie; und ich acceptire Ihre Zellseele wie Ihre Seelenzellen: dennoch acceptire ich auch die Worte am Schluß der Rede Du Bois-Reymonds, die Sie Seite 83 verdammen. An diesem kleinen Beispiel kann ich Ihnen den ganzen Unterschied und Nichtunterschied darthun.

Versteht er unter „Weltseele“ ein Lebendigsein (im weitesten Sinn) des Universums, und als das nehmen Sie es; dann hat er durch und durch Unrecht. Versteht er darunter eine denkende Seele, die uns in natürlich sein sollender Form die göttliche Vorsehung mit Zweck u. s. w. auftischt, dann hat er Recht, und so ist, glaube ich, in diesem Falle „Weltseele“ gemeint. Und bei dieser Auffassung geben Sie mir Recht, denn Sie sagen Seite 42 ausdrücklich: „dazu gesellen sich noch bei den höhern Thieren und beim Menschen die verwickelten Thätigkeiten der Ganglien-Zellen, welche unter den Begriffen: Denken u. Bewußtsein, || Verstand und Vernunft zusammen gefaßt werden.“

Rein wunderbar ist Seite 61. Ihr Hieb auf die Zellen Virchows; ich muß helllaut auflachen, so oft er mir einfällt. Virchow u. Du Bois-Reymond stehen Ihnen beide sehr nahe, um nicht zu sagen, ganz bei Ihnen; aber beide fürchten sich vor den Consequenzen.

Ich bin sehr fleißig, nur arbeite ich wegen meines besonders rebellischen Halses sehr schwer, und habe nur bis halben September frei. Dennoch hoffe ich, bis über die Hälfte meines Buches zu kommen, so daß es im nächsten Sommer fertig wird – hoffentlich! In Wien komme ich zu dieser Arbeit nicht, denn dazu muß ich ganz beisammen sein, u. meine Bücher bei der Hand haben. Sie zufriedenzustellen, ist mir dabei Antrieb u. Ziel. Und es soll ein Monismus der Ethik zur Grundlegung gegeben werden, wie er in der Philosophie noch nicht dagewesen ist.

Möchten Sie diese Zeilen im besten Wohlsein antreffen, und bewahren Sie mir Ihre Freundschaft, die meinen Bestrebungen ein Halt ist, den nichts ihnen bieten könnte.

Aus ganzer Seele Ihr ergebener

B. Carneri

a eingef.: mein Streben

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
14.08.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 4601
ID
4601