Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 5. Juni 1862

Jena, 5. Juni 1862.

Liebste Eltern!

Victoria, Victoria!

Endlich sind wir glücklich am Ziele und es stellt sich euch hiermit euer jüngster Herr Sohn, der Dr. med. Ernst Haeckel als

Außerordentlicher Professor der

Zoologie

und

Director des Großherzogl. zoologischen Museums

an der Großherzogl. Herzogl. Sächsischen Gesammt- Universität

Jena

vor!

Gestern Abend 4 Junia erfuhr ich bereits durch Seebeck und Kuno Fischer, daß die Ernennung da sei, und heute wurde sie mir officiell mitgetheilt. Es ist übrigens zuletzt – nachdem die Vorbereitung ¼ Jahr gedauert hat – mit der Geburt des neuen Professors noch außerordentlich rasch gegangen. Vor 3 Wochen erst traf die Bestätigung der Weimarischen Ernennung von allen 3 sächsischen Herzogthümern ein, wie ich euch || damals mittheilte. Sie mußte nun b noch durch die Facultät und den Senat gehen und dann noch einmal – zur Ausfertigung des Patents – nach Weimar zurück. Dies Alles ist in weniger als 3 Wochen geschehen; wie mir Seebeck versichert, so rasch, wie noch nie. Der Decan der medicinischen Facultät, Bernhardc Schultze (Bruder von Max) hat sofort einen Consess gehalten, und im Verein mit den anderen Facultäts- Gliedern (meinen Freunden Gegenbaur, Bezold, Gerhard und den Professoren Ried und Schleiden) einen äußerst günstigen Bericht über mich erstattet. Diesen hat dann der Senat (aus sämmtlichen ordentlichen Professoren bestehend) einstimmig acceptirt, in einer Sitzung, welche der Prorector, Kuno Fischer (unser berühmter Philosoph) sofort anberaumt hatte. Gewöhnlich verstreichen darüber 4-6 Wochen. Daß es diesmal so rasch gegangen, verdanke ich hauptsächlich Kuno Fischer, welcher sehr wohlwollend und ziemlich für mich eingenommen ist. So ging denn die Geschichte schon vorige Woche nach Weimar zurück, wo das Patent vorgestern ausgefertigt wurde. Jetzt liegt es dem Senat vor und dann erst erhalte ich es. || Heute früh stand die Ernennung bereits in der Weimarischen officiellen Zeitung und in dem Jenenser Moniteur (den „Blättern von der Saale“) und es ist daher möglich, daß ihr morgen schon die Ernennung in anderen Blättern zu lesen bekommt, ehe dieser Brief euch erreicht. Heute Mittag 12 Uhr wurde ich bereits in dem Arbeitszimmer des Zoologischen Museums vom Curator, Staatsrath Seebeck, in Gegenwart des Universitäts- Amtmanns Börner vereidigt und als Director der Sammlung eingeführt und dem Diener und Museumsschreiber vorgestellt. Euch wird es nun d zunächst besonders interessiren, liebe Alten, zu erfahren, welch colossales Gehalt ich bekomme. Als Director des Zoologischen Museums erhalte ich jährlich einhundert Thaler; wieviel ich als Professor bekomme, ist noch ungewiß; doch scheint die Möglichkeit zwischen 0 und 50 rl zu liegen!! Dabei habe ich aber einen ganzen Beutel voll der schönsten Versprechungen erhalten, wieviel Zulage mir in den nächsten Jahren schon soll noch gegeben werden. Vorläufig ist deßhalb hier sehr schwer Geld für die neue || Professur loszueisen, weil erst in der letzten Zeit mehrere sehr kostspielige neue Berufungen erfolgt sind. Sollte ich von außerhalb irgend einen Ruf erhalten, so würde das Gehalt sofort wohl um einige 100 rl wachsen. Vorläufig werde ich mich wahrscheinlich mit dem Directorial- Gehalt und der geldlosen Professur begnügen müssen. Auf Collegiengelder kann ich jährlich jetzt schon 100-150 rl rechnen. In dem Colleg über Osteologie (3 Stunden wöchentlich) habe ich 20 Zuhörer, von denen jedoch nur 15 zahlen (à 4 rl), also für diesen Sommer 60 rl. Im Winter wird es mehr werden. Das Personal- Verzeichniß der Universität wird in diesen Tagen hier ausgegeben, und damit ich in dieses schon mit meiner neuen Würde einrücke, hatte Seebeck gestern noch besonders, mit der Bitte um schleunigste Ernennung, telegraphirt. Sowohl Seebeck als Fischer, besonders aber Gegenbaur, haben Alles gethan, um den endlichen Abschluß der Angelegenheit möglichst zu beschleunigen, und so bin ich denn doch noch eher Professor geworden, als ich nach den vorherigen Antecedentien hoffen konnte. ||

II.

Daß der neugeborene Professor, dem noch Reste der Eischale ankleben, sich sehr wohl befindet, braucht er euch wohl nicht noch zu versichern, liebste Alten; und ich weiß, daß ihr euch nicht weniger freut, als ich und Anna, der ich auch so eben geschrieben habe. Wenn ich bedenke, wie viel länger andere Privatdocenten, – und zwar sehr verdiente – auf das ersehnte Ziel der Professur warten müssen, so kann ich in der That sehr zufrieden sein, schon mit 28 Jahren diesen Gipfel der Cultur erreicht zu haben. Dabei gereicht es mir aber zur besonderen Befriedigung, daß ich mir sie selbst verdient habe, insofern die Radiolarien schließlich doch bei den 4 Regierungen den Ausschlag für die Ernennung gegeben haben. Besonders der Großherzog von Weimar hat sich aufs lebhafteste dafür interessirt und das Buch 8 Tage auf seinem Zimmer behalten; ich werde ihm nächstens persönlich dafür danken müssen. Auch hier in Jena sind die Radiolarien sehr bewundert worden, obwohl hier allerdings der Neid überwiegend ist, daß ein so junger Ausländer schon Professor wird und den so viel älteren, einheimischen Privatdocenten vorgezogen wird. || In 10 Wochen wird nun schon dem Professor der junge Ehemann nachfolgen; ich denke, daß wir die Hochzeit zwischen dem 15 und 20. August halten. Bis dahin werde ich hoffentlich auch eine nette Wohnung haben, zu der jetzt noch nicht viel Aussicht ist. Dann folgt die Hochzeitsreise, an welche ich jetzt schon mit traumhafter Wonne denke.

– In letzter Zeit habe ich viel mit unserem großen Philosophen Kuno Fischer (dem ausgezeichnetzten unserer hiesigen Lehrer) verkehrt, bei dem ich auch morgen Mittag zu Tisch bin. Ich höre täglich von 4-5 (4 mal wöchentlich) bei ihm Kantische Philosophie, die mich im höchsten Grade interessirt. In einem sehr vorzüglichen, von ihm geschriebenen, Handbuche lese ich zu Haus die Sachen wiederholt durch und studire die Kantische Philosophie, die gewiß für jeden Naturforscher höchst wichtig ist, ganz gründlich. Vorgestern hat Fischer über 2 Stunden bei mir gesessen und sich an meinen Radiolarien und an den italischen Aquarellen und Photographieen ergötzt.

Solcher Umgang ist auch eine große Annehmlichkeit von dem kleinen Jena. Die Kritik der reinen Vernunft habe ich schon ganz durch. ||

Während ich euch diese Zeilen schreibe, bin ich von 2 der schönsten Blumen- Bouquets umduftet, von denen eines meine Aufwärterin, das andere mein Wirth mir verehrt hat. Der letztere, ein trefflicher Mann, wurde, als ich ihm e heute Mittag, von der Vereidigung kommend, die Freudenbotschaft mittheilte, so gerührt, daß ihm die Thränen in die Augen traten.

– Einliegendef Briefe an Carl, Georg Reimer und Hartmann besorgt ihr wohl recht bald. Den an Hartmann bringst Du vielleicht selbst hin, lieber Vater; es würde Dich ohnehin sehr interessiren, einmal die Waffen, Geräthschaften, Kleider,f und andere Gegenstände der africanischen Cultur, die er von seinen Reisen mitgebracht hat, zu sehen. Hartmann wohnt in der Charlottenstr., nahe dem Enckeplatz (ich glaube 92) parterre. Ferner bitte ich Dich, lieber Vater, auch Dr. Barth, Brauns und Partheys zu benachrichtigen. An die Tanten sagst Du es wohl, liebe Mutter! Nun nochmals, freut euch mit mir, liebste Eltern, über euren neugebackenen, glücklichen

Professor extraordinarius

Ernst Haeckel.

a eingef.: 4. Juni; b gestr.: durch; c korr.aus: Max; d gestr.: haupt; e gestr.: hech; f korr. aus: Einliegenden; g korr. aus: und.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
05.06.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 43833
ID
43833