Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Salzburg, 5. September 1874

Salzburg 5 Sept 74

Liebste Mutter!

Gestern sind wir Beide wohlbehalten hier angekommen. Heute vor 8 Tagen kam ich, wie Du bereits weißt, erst von Jena fort, wo ich bis zum letzten Augenblick mit Correcturen meiner beiden Bücher zu thun hatte. Ich war sehr froh, als ich noch rechtzeitig morgens 10 Uhr abfahren konnte. Um 4 Uhr war ich in Salzungen, wo ich Agnes und Walter zu meiner Freude sehr wohl fand. Sie hatten eine sehr hübsche Wohnung, unmittelbar an einem kleinen See gelegen. Der rings von Bäumen umgebena ist. Er liegt abseits von der Stadt und man sieht ihn von der Bahn aus nicht. ||

Sonntag den 30. August, einen b sehr schöner und heiterer Tag, benutzten wir zu einer sehr hübschen Partie nach Liebenstein und Altenstein. Wir fuhren Alle vier (nämlich außer uns Beiden und Walter auch Clara) in einem Wagen morgens 10 Uhr ab, waren um 11 in Altenstein, wo wir die Höhle bei Beleuchtung besichtigten, was auf Walter einen großen Eindruck machte. Dann gingen wir mehrere Stunden in dem hübschen Park von Altenstein spazieren, und fuhren nach dem Mittagessen nach Liebenstein, wo wir Prof. Friedreich nebst Frau aus Heidelberg trafen. An einem sehr schönen Abend zurück.

Montag 31. Schrieb ich Briefe und besorgte Correkturen, während Agnes und Clara packten. Nachmittagsa besuchte ich noch Gradirhäuser und Bäder und machte dann einen Spaziergang im Werrathal. ||

Dienstag 1. September früh 10 Uhr fuhren wir von Salzungen ab, Clara mit Walter nach Jena zurück, ich mit Agnes über Lichtenfels nach Bamberg, wo wir uns 3 Stunden aufhielten, Stadt, Dom und alte Burg besichtigten. Abends nach Nürnberg.

Mittwoch 2. Sept. Ein sehr schöner Vormittag in Nürnberg. Die Stadt war zur Sedanfeier festlich mit Fahnen, Flaggen und Kränzen geschmückt. Wir besuchten die Burg, Markt Lorenzkirche und Sebalduskirche und amüsirten uns über das Menschengewühl in den dicht bevölkerten Straßen. Mittags 1 Uhr fuhren wir von Nürnberg ab nach München, wo wir Abends 9 Uhr ankamen. Unsere Reisegesellschaft waren zwei sehr naive und amüsante Diakonissinen aus Kaiserswerth, die direct über Triest nach Smyrna (als Lehrerinnen für das dortige Mädchen-Pensionat) reisten und sich sehr freuten, von mir über Smyrna zu hören. ||

Donnerstag 3. Sept. hatten wir einen sehr hübschen (obwohl etwas heißen) Tag in München. Morgens zuerst nach der Post, wo ich Deinen lieben Brief fand, liebste Mutter, sowie einen Brief von Gegenbaur, wonach am 30. Aug. ein kleines gesundes Söhnchen angekommen ist; Alles geht sehr gut. Vormittags besuchte ich mit Agnes die neue Pinakothek, wo mich die Orient-Gemälde diesmal ganz besonders interessirten. Nachmittag im englischen Garten, bei der Bavaria, in der Ludwigs- und Bonifacius-Kirche.

Freitag 4. Sept. von München bei schönem Wetter nach Salzburg, von 10–4 Uhr gefahren. Ein sehr angenehmes behagliches neues Hôtel getroffen (Griessberger, Stein-Bräu) unmittelbar an der Brücke, auf dem rechten Ufer. Aus unsern Fenstern haben wir die schönste Aussicht auf den Mönchsberg und Veste Hohen-Salzburg. Abends ein hübscher Spaziergang am neuen Quai ||

Salzburg 5 Sept. Sonnabend.

Heute kann ich Dir nur noch melden liebste Mutter, daß gründlicher Landregen eingetreten ist, der hoffentlich nicht zu lange dauert. Wir sind glücklicherweise sehr angenehm logirt und können es ein paar Tage abwarten. Jedenfalls bitte ich Dich, mir bald mit ein paar Zeilen zu sagen, wie es Dir geht. Ich bin sehr besorgt um Dich, obgleich Dein Brief mir Besserung meldet. Hoffentlich höre ich bald, daß Du ganz wieder hergestellt bist. Adressire Deinen Brief:

bei Herrn Conrad Deubler

Goisern bei Ischl

Ober-Österreich ||

Wir denken etwa 14 Tage im Salzkammergut zu bleiben, in Goisern, Hallstadt und Gosau. Agnes will den 28. wieder zurück sein. Ich werde dann wohl noch nach Heidelberg gehn und über Bonn (?), Berlin u. Potsdam zurück.

‒ Von Jena gute Nachricht. Grüße Carl, Clara und die Kinder bestens, sowie auch Tante Bertha, die wir leider nicht getroffen haben.

Mit herzlichsten Grüßen von Agnes und mir

Dein treuer Ernst.

a korr. aus umgehen; b gestr.: [xxx]; c korr. aus: Abends

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.09.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39033
ID
39033