Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bertha Sethe, Jena, 22. April 1900

Jena 22. April 1900.

Liebe Tante Bertha!

Die abgelaufene Osterwoche, in der hier endlich der lang ersehnte Frühling mit herrlichem Sonnen-Schein eingezogen ist, hat die Ausführung meines großen, schon lange im Stillen gehegten Entschlusses in mir gereift. Ich will nächsten Winter noch einmal die Herrlichkeit der indischen Tropen-Natur schauen, und zwar werde ich im September (mit dem Norddeutschen Lloyd) nach Singapore und Batavia fahren, und dort zunächst mehrere Wochen in dem herrlichen botanischen Garten in Buitenzorg arbeiten, dessen liebenswürdiger Direktor, Professor Treub, mich früher hier besucht und nach dort eingeladen hat. Von Java aus denke ich noch einige andere malayische || Inseln zu besuchen, besonders Celebes und das zoologische sehr interessante Ambon. Übers Jahr hoffe ich (April 1901) wohlbehalten direkt zurückzukehren, reich beladen mit Landschafts-Aquarellen, neuen „Kunstformen der Natur“, und Material für neue „Protisten-Studien“.

Agnes will mit Emma den Winter auch gern von Jena fort, womöglich nach der Riviera gehen, sonst vielleicht nach Dresden, in eine gute Pension. Sie hofft ihre Gesundheit wesentlich zu bessern durch einen Klima-Wechsel, sowie die Abwälzung der Sorge für das Haus – die sie immer zu schwer nimmt. Augenblicklich ist sie sehr kaput und schlecht gestimmt, da die Folgen der schweren Influenza (seit 10 Wochen, mit 2 Rückfällen) sie noch immer plagen. ||

– Da diese zweite indische Reise weder sehr beschwerlich noch gefahrvoll ist, hoffe ich von ihr für mich das Beste; eine gründliche Ausspannung von meinem angestrengten Arbeitsleben in Jena war mir schon lange erwünscht – und ganz besonders diesen Winter, wo die endlose Correspondenz (– über „Welträthsel“, „Kunstformen“ u. A. –) mich ganz mürbe gemacht hat. Meine hiesigen Freunde billigen den Plan durchaus, und die hiesigen Verhältnisse begünstigen ihn.

Am Oster Montag hatte ich längeren Besuch von unserem Premier-Minister, Dr. Rothe, nebst Frau (geb. Eggeling, alte Freundin). Der Urlaub für den Winter wird leicht zu erlangen sein. Wegen holländischer Empfehlungen habe ich heute an Louis Mulder geschrieben. ||

Bitte theile diesen Brief Heinrich und dessen Geschwistern mit, denen ich zugleich freundliche Grüße sende.

– Auf der Rückreise von Berlin hatte ich in Leipzig noch 3 schöne Tage bei Lisbeth; dort geht Alles sehr gut. Meyers waren am Oster Sonntag hier, um den Neubau ihres Berg-Häuschens (auf dem „Landgrafen“) zu inspiciren. Wir machten einen herrlichen Oster-Spaziergang nach der Ammerbacher Platte.

– Für Deine liebenswürdige Aufnahme in Berlin sage ich Dir nochmals herzlichsten Dank! Es war doch sehr schön, daß wir uns einmal gründlich aussprechen konnten.

– Mit herzlichsten Grüßen, wie immer

Dein treuer alter Neffe

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.04.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38247
ID
38247