Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bertha Sethe, 12. Januar 1900

Zoologisches Institut

der Universität Jena

Jena, den 12.1.1900

Liebe Tante Bertha!

In dieser Woche hatte ich so ungewöhnlich viel Arbeit, daß ich erst heute dazu komme, Dir das erfreulichste Ereigniß derselben mitzutheilen. Am Sonntag (6.) erhielt ich zwei Telegramme aus Turin, dass die dortige Academie der Wissenschaften beschlossen hat, mir den großen Bressa-Preis (10.000 Frcs = 8000 Mk) zu ertheilen, für meine dreibändige Systematische Phylogenie, als das bedeutendste Werk, welches während der 4 Jahre 1895–98 im Gesammtgebiete der Wissenschaft veröffentlicht wurde. || Der Preis wird nur alle 4 Jahre verliehen und gilt als die höchste wissenschaftliche Auszeichnung. Ich habe in diesen 4 Tagen || schon zahlreiche Glückwunsch-Telegramme und -Briefe bekommen. Bei meinen Freunden erregt diese ungewöhnliche Ehrung ebenso herzlicher Freude, als bei den lieben Collegen Neid und bei den zahlreichen Gegnern (besonders den frommen, von christlicher Liebe Geplagten!) Ärger!

– Die „Welträthsel“, deren Erfolg fortdauernd gewaltig ist, haben damit Nichts zu thun. –

Die Systematische Phylogenie (− nur für Fachleute genießbar −) enthält die Beweisführung der Stammbäume der organischen Formen, die mich seit 34 Jahren beschäftigen. ||

– Wie glücklich und stolz würde meine liebe Mutter gewesen sein, wenn sie diese Erfolge „ihres Jungen“ erlebt hätte. − Erst zu Weihnachten die schöne gravirte Erztafel, auf der| meine Erwählung zur Academie die Lincei in Rom eingetragen ist. Dann die großen Erfolge der „Kunstformen“! –

– Auch finanziell sind die Erfolge des seltsamen Jahres 1899 für mich unvergleichlich! Von jedem Tausend der „Welträthsel“ erhalte ich 1500 Mk (− der Verleger verdient etwa das Doppelte). Jetzt sind in 3 Monaten 7000 Exemplare verkauft − macht zusammen 10.500 Mk. – Indessen: „Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“ ||

– Am 4. Januar traf hier das große Ölbild ein, welches Prof. Franz von Lenbach im October von mir in München gemalt hat; ein großartiges Portrait, in Rembrandts Manier gehalten; höchst lebendig u. charakteristisch. Der berühmte Maler hat es mir geschenkt; ein zweites Exemplar kommt in seine „Gallerie der Zeitgenossen“.

– Zu Hause geht es seit einigen Tagen besser; Agnes hat sich nun von dem neuen Anfall von Herzschwäche, den sie am 30 December (infolge des 3tägigen, – übrigens sehr hübschen! – Weihnachts-Besuchs in Leipzig zu erdulden hatte, allmählich erholt. Walter, der hier 3 Wochen sehr vergnügt war, ist Montag nach München zurück. Bitte diesen Brief an Heinrich zu schicken, der ihn dann den Geschwistern mittheilen kann.

Herzlichste Grüße an Dich und alle unsre Lieben.

Dein treuer

Ernst Hkl.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.01.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38245
ID
38245