Haeckel, Charlotte

46. Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 5.-6. Oktober 1851, mit Nachschriften von Carl Gottlob Haeckel, Hermine Sethe und Karl Haeckel

Sonntag Nachmittag

Mein lieber, lieber Ernst!

Obgleich ich Dir versprochen hatte, erst nach einigen Tagen zu schreiben, wenn wir etwas mehr in Ordnung und Ruhe sein würden, so wirst Du doch nicht böse sein, wenn ich schon heute, Dich begrüße. Was wird unser Ernst machen? – So haben wir uns schon oft befragt. –

Wir kamen hier gestern wohlbehalten an; in Wittenberg kam noch Herr v. Kathen an den Wagen, was uns große Freude machte. Großvater und Tante Gertrud fanden wir wohl, Tante Bertha leidlich. Der dritte Wagen│ mit unseren Sachen kam gestern Nachmittag und mußte noch bei Licht abgepackt werden. Auch machten wir gleich die Betten zurecht, so haben wir schon in unserer Wohnung geschlafen. Zum Frühstück sind wir beim Großvater gewesen, und haben auch heute da gegessen, was wir auch morgen thun werden, da die beiden Mädchen noch beschäftigt sind, die Küche rein zu machen, die schrecklich aussieht, wie es überhaupt an Schmutz nicht fehlt. Morgen kann der Tisch│ler erst kommen, die Schränke aufzustellen; also wird da auch das eigentliche Auspacken erst loos gehen. –

Vater ist mit Karl spaziren, beide wollen Dir noch schreiben; ich habe so keine Ruhe dazu. Grüße Herrn u. Frau Osterwald, Karos, Wiecks, Simons, Kathen und wen Du von unseren Freunden und Bekannten siehst. – Schreibe uns bald, wie es Dir geht? und was Du treibst, morgen fängt ja die Schule wieder an, da denke ich wird Dir die Trennung von uns leichter, wenn Du Deine gewohnte│ Arbeit hast. – Leb wohl, mein Herzens Sohn, Gott sei mit Dir; halte Dich gesund und denke fleißig an

Deine Mutter.

Hast du wohl den Brief an den D. v. Basedow gebracht? –

<Nachschrift von Carl Gottlob Haeckel>

Lieber Ernst!

Wir fuhren gestern unter sehr feuchtem Wetter hieher, gegen Mittag wurde es beßer und meine Einfahrt bis in meine Wohnung hat einen sehr einen angenehmen Eindruck auf mich gemacht. Die schönen Häuser längs dem Thiergarten, die (durch den tüchtigen Regen) <von> sehr schönen Rasenplätzen umgeben waren, schöne Alleen sprechen sehr an, auch der Exercirplatz, an dem wir wohnen, hat noch ein sehr schönes Grün und dabei sehr fest gebahnte Wege, auf denen ich gestern Abend in der Dunkelei (während abgeladen wurde) bis abends 7 Uhr spatzieren gegangen bin. Ich wohne also hier wie in einem großen schönen Park mit großen Rasenplätzen, das Krollsche Etablissement und vis-a-vis das Corneliussche und Radzynskysche Gebäude geben dem Platz ein schönes Relief. Unsere Dienstmädchen rißen gewaltig die Augen auf, als sie (lies das andere Blatt) die schönen Straßen, Häuser und Plätze sahen, auch das Innere der Häuser imponirt ihnen sehr. Mit unserer Wohnung sind wir, soweit wir es jetzt übersehen können, zufrieden. Die eigentlichen Wohnungs- und das Schlafzimmer sind ausreichend und gewähren einen angenehmen Eindruck. Mutters Zimmer ist sehr hübsch das Schlafzimmer sehr geräumig, mein Kabinetchen, wo ich arbeite, gemüthlich und Karls Zimmer bequem u. angenehm, eben so sein Schlafzimmer, wo auch für Dich ein Bett steht, wenn Du hier bist. Das Fremdenstübchen ist winzig klein, aber doch zum Schlafen ausreichend. Morgen (Montag) und die folgenden Tage wird es nun an ein Auspacken gehen und wir werden wohl die ganze Woche bedürfen, ehe wir etwas eingerichtet sind. In den Zimmern sieht es jetzt aus, als ob ein Erdbeben alles umher geworfen hätte. Gegeßen und getrunken wird bei Großvater. Heute habe ich Visite bei Hr. v. Bassewitz und Julius gemacht. Großvater und Bertha sind sehr erfreut, uns hier zu haben. Auch Gertrud hat uns sehr freundlich aufgenommen.

Nun mein lieber Ernst! Nimm Dich in aller Art recht zusammen, vor allem schnüre fortdauernd Deinen Fuß, damit er im Gelenk Festigkeit erhält, gehe Nachmittag um 4 Uhr fleißig spatziren, das regellose Leben, was immer zwischen den Extremen schwankt, mußt Du Dir abgewöhnen, es muß eine gewiße Ordnung in Deiner Lebensweise einheimisch werden, dadurch│gedeiht Leib und Seele, der Körper muß dauern mit einer gewißen Sorgfalt behandelt werden, damit er gesund bleibe, es muß eine gewiße Eintheilung der Zeit stattfinden, damit Studiren und Geschäfte in geregeltem Gange vorschreiten. Göthe war ein großes Genie, soviel mir bekannt ist, fand aber auch in seinem äußern Leben eine große Sorgfalt und Ordnung statt. Die Menschenfehler mußt Du allmählich ablegen und nicht blos dem nachgehen, was Dich amüsirt, sondern Du mußt Dich in das schicken lernen, was ein geordnetes Leben mit sich bringt. Besuche also auch unsere Freunde zuweilen, denen allen wir uns bestens empfehlen. Ich gedenke Dir fleißig zu schreiben. Nach 8 Tagen, wenn wir etwas eingerichtet sind, sollst Du wieder etwas erfahren.

Dein

Dich liebender Vater

Haeckel

<Nachschrift Hermine Sethes>

Montag d. 6ten früh – Lieber Ernst!

Als Stückchen der Häkelei flicke ich mich auch in diesen Brief an Dich den großen Schwager ein um Dir einen herzlichen Gruß zu schicken in Deiner ersten Alleinherrschaft. Die ersten schweren Tage hast Du nun schon überwunden, so wird’s weitergehen bis Weihnachten heran. Wenn Du erst recht bei Osterwalds eingelebt bist, wirst Du weniger das Haus vermissen, und was die Eltern und besonders die Mutter betrifft, so kannst Du ja durch recht fleißiges Briefschreiben, Dich mit ihnen unterhalten. Vielleicht fällt da auch mannigmal ein Stückchen Zeit für die zwar nur künftige Schwester, aber dennoch Schwester ab. – Wie Du denken kannst sieht es sehr bunt aus, der Alte hat natürlich sehr viel zu thun und lamentirt entsetzlich, geht schon tüchtig spatzieren. Morgens, Abends u. Mittags kommen sie noch her. Auf der Eisenbahn hat der Alte sich mit einem Offizier über unsere Politik gezankt, es wurde etwas heftig, da Letzterer es für Unrecht hielt, daß wir nicht schon lange mit Rußland und Österreich gegangen wären. Ich werde nicht mit ihnen gehen, sondern zunächst nur mit Karl. Ade, laß bald von Dir hören. Von Herzen Deine Schwester Mimmi

Grüße Alle, die sich meiner erinnern, besonders Karo’s. Gestern Abend haben mir Großvater und Tanten den Pokal gezeigt u. Cenons Rede dazu vorgelesen. Heute Abend kommt Heinrich aus Stettin.

Berlin 5 Octbr. 51.

Pauline will nicht wieder von hier fort. Nachmittag geht sie mit Julie in die Stadt. – Großvater ist sehr wohl, er stellte mich dem Vater als seinen Bibliothekar u. Archivar vor, auf diese Titel kann ich stolz sein; wie gefällt Dir das.

<Nachschrift von Karl Haeckel>

Lieber Nachtwächter

Du sollst auch von mir einige Zeilen in Deiner Aeltern Verlassenheit erhalten, einen Trostbrief, wie der Deutsche sagt, der Dir aber vornehmlich sagen soll, daß man sich in das Unvermeidliche schicken muß, und daß nun einmal die Zeit erscheinen mußte, wo Du aus dem Aelternhause scheidest. Dafür bleibst Du aber, denke ich, desto mehr im Herzen bei uns. Schreib auch fleißig, wenn Dir’s bange ums Herz ist, und geh in die freie Natur [Lücke] Und drittens setz Dich tüchtig hinter die Examens Präparation namentlich die Geschichte. Denke, daß ich diesen Winter auch tüchtig arbeiten muß.

Uebermorgen hoffe ich mit meiner Stube so weit zu sein, daß ich zu arbeiten anfangen kann.

Was ist denn aus unserm Schrein geworden? Kommt er, so mußt Du etwa 5 Sgr. in eine Büchse zum Unterstützungsfond thun. Nun lieber Bruder, Gott schicke Dir Kraft, das Heimweh zu überwinden. Schreibe bald

Deinem

Karl

H: EHA Jena. Egh. Brief, 2 Dbl., 8 S., 23,1 x 14,5 cm, Brieffaltung, Siegelreste, Poststempel, Besitzstempel, Anstreichungen mit blauem Stift, rechteckiger Ausschnitt, Vermerk von der Hand Ernst Haeckels: „Berlin 5. 10. 1851“. – D: ungedruckt.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.10.1851
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35919
ID
35919