Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 23. November 1851, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel

Berlin, 23. November 51

Mein lieber Ernst!

Für Deinen lieben Brief zu meinem Geburtstage meinen herzlichsten Dank, Du mein lieber, lieber Ernst! Er hat mir große Freude gemacht. Allerdings muß ich Gott für das mir verliehene noch ziemlich rüstige Alter sehra dankbar sein. Ich habe ihm auch für alles Gute, was er mir auf dieser Erde geschenkt, aufs innigste gedankt und gebeten, mich, wenn es sein Wille ist, noch einige Jahre auf dieser Erde zu laßen, um mit meiner Frau und Kindern noch zusammen zu sein, um zu sehen wie die letztern fortgedeihen, wie sie gute, fromme, gottesfürchtige, brauchbare, für das Leben und die Welt tüchtige Menschen werden, b ihren Beruf c mit Treue und Eifer erfüllen und auf diese Weise ihr Schärflein zum Wohl der Welt beitragen.

Immer mehr wird es mir klar, wie die Wahl des Ganzen auf dem sittlich religiösen Halt und Ernst in der Familie beruht, hier muß der innere Kern mit Sorgfalt gepflegt und entwikelt werden. Wenn der sittlich religiöse Sinn, durch welchen die Leidenschaften im Zaum gehalten werden, aus der Welt weicht, dann ist diese verloren, sie versinkt in Demoralisation und die Entwikelung des Menschengeschlechts nach Gotteswillen, als Vorbereitung für ein beßeres Leben wird dann unmöglich. Verstand und Talent giebt es genug in der Welt und sie tragen auch das ihrige zu Beherrschung der Erde durch den Menschen bei, aber Religion und Sittlichkeit geben ihnen erst Direktion, Leitung und Weihe; stehen sie im Dienste niedriger Leidenschaften, dann wirken sie nicht beglükend, sondern verderblich und zerstörend. So danke ich denn Gott, daß er mich in ein Familienleben versetzt hat, wo d jene großen Autoritäten noch gelten und wirken, so erfreue ich mich ins besondere und hauptsächlich unsers alten verehrungswürdigen Papas, es ist eine wahre Freude, ihn noch so frisch und lebendig in den alten Tagen zu sehen. Er ist Exekutor testamenti der e verstorbenen Tante Sack, ihre Verwandten sind jetzt in größerer Anzahl hier versammelt und da habe ich den alten Mann in seiner Klarheit und Lebendigkeit bewundert. Das Detail besorgt Julius. Die Frauen waren in diesen Tagen mit Inventionen beschäftigt und gestern Abend im kleinen Cirkel f wurde mein Geburtstag gefeiert in unsrer Wohnung. Professor Weiss nebst Frau, die Geheim-Räthin Jacobi mit Lucie, August Jacobi mit Helene, Hr. v. Reimann aus Aachen, Mutter Reimer mit Siegfried Reimer, Julius mit Frau, Philipp aus Bonn waren bei uns und wir waren recht vergnügt. Guido Sack ist schon vorgestern nach Breslau zurück. Der Mineraloge Sack aus Halle ist noch nicht hier eingetroffen. Die Regulirung der Erbschaft, die für manchen einzelnen sehr bedeutend ausfallen wird (z. B. für Herrn von Reimann u. August Jacobi), für die Sackschen Linien sich aber sehr zersplittern wird, nimmt uns sehr in Anspruch, insbesondere Julius, auch den Papa beschäftigt sie sehr und ich gebe denn mein Wörtchen auch dazu, die gewünschten Bilder wirst Du wohl erhalten.

Was nun Dein dortiges Leben betrifft, so mußt Du schon aushalten, treibe tüchtig Geschichte und Latein, letzteres wird Dir bei Erlernung der neuern Sprachen sehr zu statten kommen, die Geschichte mußt Du als ein gebildeter Mensch kennen, auch Mathematik wirst Du zu Deinen künftigen Studien brauchen, alles hat seine Zeit und so mußt Du auch vorläufig in den sauren Apfel beißen. In 3-4 Monat ist ja die schlimmste Zeit || vorüber. Dabei mußt Du aber zuweilen unsere dortigen Freunde besuchen. Der Umgang mit Menschen gehört auch zu diesem Erdenleben, wir sollen uns nicht als Einsiedler verschließen, sondern zu gegenseitiger Ausbildung mit den Menschen verkehren. Dabei meinen es unsere dortigen Freunde so gut mit uns und es hat mich und Mutter wahrhaft gerührt und ergriffen, daß sie in diesen Tagen unsrer so gedacht haben, wir haben gestern 4 Briefe bekommen, die alle von großer Anhänglichkeit zeugen. Sie ist aber auch von unsrer Seite vorhanden und wir werden an unsern dortigen Freunden g in unveränderter Anhänglichkeit beharren. Wenn ein Verhältniß erst recht im Herzen Wurzel gefaßt hat, so ist es nicht mehr zu vertilgen, so leben z. B. meine verstorbenen Freunde aus der Landshuter Zeit noch so lebendig in meinem Herzen, als ob ich sie erst kürzlich verloren hätte. – Was Deine Zukunft betrifft, so wollen wir Gott walten laßen; folge Deinem innersten wahrhaften Triebe, in so fern erh Dich zu einem wahrhaften tüchtigen Beruf fürc Wißenschaft und Leben führt, Deine Eltern werden Dir aus allen Kräften dazu behülflich sein und Dich nicht im Stich laßen. Es wird auch Rath zu einer Alpenreise werden. Also nur immer tüchtig vorwärts. Auch für Deine hübschen Zeichnungen danke ich Dir recht herzlich, wir freuen uns sehr auf die Zeit, wenn Du bei uns sein wirst. Carl ist fleißig, sieht doch aber auch seine Freunde, in diesen Tagen ist Meier aus Danzig hier angekommen um hier ebenfalls sein 3tes Examen zu machen, auch Egidi ist hier. Richter kommt alle Monate einmal her, so fehlt es also Carln, der Dich herzlich grüßt, nicht an Berührung mit Freunden. – Das Zeichnen soll Dir auf Deinen künftigen Reisen, wenn es Gott gefällt, sie Dir zu gestatten, sehr zu statten kommen. –

Was die Politik betrifft, so glaube und erwarte ich nur eine allmähliche Entwikelung des constitutionellen Lebens, unser Volk ist noch sehr zurück, es wird aber durch die Manövers der Absolutisten, um es zu unterdrüken, immer mehr heranreifen. Der Stunden, wo ich mich wirklich ärgere, sind nur wenige. – Meinen Körper führe ich jetzt in den Abendstunden hauptsächlich auf der Charlottenburger Chaussee spatzieren, wo es sich sehr gut geht und zugleich Erleuchtung ist. So bin ich vor einigen Tagen bei dem großen Schneegestöber ganz geschützt am Abend gegangen, als ich aus einer Mittagsgesellschaft von D. Partei kam, die sehr intereßant war und wo ich unsern Weiss, Ehrenberg und den Bildhauer Rauch fand, der sehr viel Intereßantes aus seinem Umgang mit Göthe erzählte, wodurch man den Göthe immer lieber gewinnt. Es ist doch eine außerordentlich begabte Natur gewesen.

Grüße unsre Freunde aufs herzlichste ins besondere auch Kathen und Karo, ich habe sie alle lebendig in meinem Herzen und werde ihnen nächstens schreiben.

Für dieses Mahl genug.

Dein Dich liebender Vater

Haeckel.

[Nachschrift von Charlotte Haeckel]

Mein lieber Ernst, wie sehr Du uns gestern gefehlt hast weißt Du, wir haben aber alle in Liebe Deiner gedacht. Hierbei erhältst Du etwas zum Schmausen, vom Hasen ist nicht mehr übrig geblieben, von Näscherei werde ich nur einpacken was geht. Das kleine Stück Kuchen gieb der Madam Merkel, und sag ich ließe sie schön grüßen, so bald ich könnte, würde ich ihr schreiben; den übrigen Kuchen habe ich Dir ganz geschickt, ich dachte, da könntest Du Deinen Hausgenossen allen ein Stückchen geben.

Leb wohl mein Herzens Junge, behalte lieb

Deine

Mutter.

Mimi ist angekommen.

a eingef.: sehr; b gestr.: und; c gestr.: und; d gestr.: die; e gestr.: alte; f gestr.: zu; g gestr.: un; h eingef.: er; i gestr.: und; eingef.: für

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
23.11.1851
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35916
ID
35916