Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte

Von Carl Gottlob Haeckel, Teplitz, 22. August 1859, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel

Töplitz 22 August 59.

Mein lieber Ernst!

Deinen letzten Brief aus Capri (er ist nach Freyenwalde gegangen u. war, glaube ich, am 2ten od. 4ten dieses Monats) haben a wir erhalten und daraus ersehen, daß Du Dich bis gegen Ende des Monats dort aufzuhalten gedenkst und Dich vorzüglich mit Aquarell Malerei beschäftigen wirst, da die Jahreszeit für den Gewinn von Seethieren nicht günstig ist. Den September über gedenkst Du nach Sicilien zu gehn und dann zum October Deine Arbeiten in Messina zu beginnen, da wenig oder gar keine Aussicht nach Algier vorhanden ist. Du wirst inzwischen meinen Brief erhalten haben, der Dir die Erlaubniß zu dieser Reise ertheilte; wenn sie nicht zu Stande kommt, so ist m.E. für Dich nichts Wesentliches verloren. Ich wollte einem so tiefen Verlangen, nach einem andern Erdtheil zu sehen, nicht entgegen treten. Vielleicht kannst Du diesen Wunsch später befriedigen, da eine solche Reise für Dein Studium Gewinn bringend sein kann, wenn sie auch nicht absolut nothwendig ist. Das nächste dringendste Bedürfniß ist, daß Du von October ab in Messina tüchtige Studien machst, die wohl bis in den Februar hin andauern werden. Dann kannst Du gradesweges über Genua oder Marseille nach Hause. Eine Reise nach Norwegen wird später auch nicht ausbleiben. Zu diesen Reisen wirst Du Dir aber die Geldmittel durch Schriftstellerei und Erlangung einer Profeßur selbst verschaffen müßen. Nach Algier kannst Du einmal über Marseille per Dampfschiff leicht gelangen. Kürzlich hat ein Profeßor Smarda aus Prag in der Geographischen in Berlin, der um die Erde gefahren und auch Zoolog ist, einen Vortrag gehalten. Die Hauptaufgabeb dieses Mannes ist auch die Untersuchung der Meeresfauna. Er ist von Ceylon über Isle de France nach dem Cap, sodann nach Australien, von da nach Valparaiso in Südamerika, von da über die Cordilleren nach Panama und dem Hochlande von Südamerika, von da in das Thal des Missisippi gegangen. Von seinen zahlreichen Sammlungen sind 30–40 St. durch Raub und Schiffbruch verloren gegangen, über den Rest wird er besondre Werke herausgegeben [!]. Auch hat er geologische und botanische Bemerkungen von seiner Reise erwähntc und sich ins besondre über Ceylon, wo er längere Zeit verweilt, ausgelaßen. Du siehst, es geht jetzt rüstig in den Forschungen her, seitdem die Welt einmal aufgeschloßen ist. Anfang October werdend einigee Preußische Schiffe nach China und Japan gehen, daf sollen auch einige Naturforscher von Ruf, man nennt Ehrenberg (woran ich zweifle, da er schon zu alt ist) und Dove mitgehen. Letzterer könnte allerdings wesentliche climatische Forschungen machen. Hast Du Dir erst einigen Ruf erworben, so werden sich Dirg vielleicht später noch Gelegenheiten zu einer größern Reise darbieten, da das Bedürfniß zur Erweiterung des Handelsverkehrs auch die Regierungen zu Ausrüstung von Sendungen treibt. Also für jetzt, was Dich betrift, aus Messina gehörig mehr gewonnen und davon über die Resultate Deiner Forschungen geschrieben! Kommt Zeit, kommt Rath!

Mutter und ich sind nun 3 Wochen hier, Mutter hat fleißig gebadet, das Bad hat sie sehr angegriffen, gestern bekam sie wieder ihren Krampf, also zum 3ten Mahle seit dem Februar. Dieses Mahl muß derselbe mit den Wirkungen des Bades zusammen hängen. Ihre Krankheit, die Rükenschmerzen, sind wahrscheinlich Blutanhäufungen im Rüken, welche die Nerven des Rükgrads afficiren und so die Krämpfe veranlaßen. Wir werden noch 14 Tage hier bleiben und Mutter wird 28–30 Bäder nehmen, auch bekommt sie über den andern Tag die Douche. Die Gegend hier ist, wie Du weißt sehr schön. Wir leben hier sehr still und isolirt, die Oesterreicher leben fast ganz für sich (es sind viel verwundete Officiere im Bade), bei der großen Spannung, die jetzt zwischen Oesterreich und Preußen wegen des italienischen Krieges herrscht, ist der Umgang mit den Oesterreichern sehr erschwert. Oesterreich verlangte, wir sollten à tout prix seine Besitzungen und Prätensionen in Italien zu halten suchen, wozu wir nicht bereit waren, obwohl wir bei fortdauerndem Unglük der Oesterreicher in Italien, was auch Deutschland in Gefahr gebracht haben würde, losgeschlagen haben würden. Dennoch wird dieser Krieg auch für uns seine wohlthätigen Folgen || haben. Denn obwohl die Oesterreicher tapfer gefochten, haben doch die Franzosen in der individuellen Ausbildung des Soldaten eine große Ueberlegenheit gezeigt und die Anführung der Oesterreicher ist schlechter gewesen. Auch bei uns hat die Mobilisirung der Armee mancherlei Mängel zu Tage gefördert. Man glaubte nur mit länger gedienten, an die starre Disciplin gewöhnten Soldaten Krieg führen zu können. Man war wieder auf den 3jährigen statt des 2jährigen Dienstes zurük gekommen, h und es fanden sich zu wenig ausexercirte Leute, man mußte bei der Landwehr in die älteren Jahre zurükgreifen, i was für die Familien- und Nahrungsverhältniße sehr störend war, während junge, nicht ausexercirte Leute in Menge herum liefen. Man wird also jetzt zum 2jährigen Dienste zurükkehren, um eine größere Anzahl militärisch ausgebildeter Männer zu erhalten, man wird wieder weniger den Kamaschendienst und mehr den Felddienst üben und die j Officire auch mehr für den wirklichen Krieg ausbilden. Das haben unbefangne, nüchtern sehende Männer längst gewußt, aber in den bösen 8 Jahren der letzten Zeit war nichts Vernünftiges durchzusetzen. Der König hat in den letzten Wochen wieder starke Schlaganfälle gehabt, so daß man an seinem Aufkommen zweifelte. Indeß scheint es für dieses Mahl noch nicht tödlich, er soll aber (was nicht deutlich ausgesprochen wird) auf beiden Seiten gelähmt sein. Wir haben im Juli und in den ersten 14 Tagen des August große Hitze gehabt, dann folgt 6–8 Tage starke anhaltende Gewitter, jetzt ist es kühler geworden und der häufige starke Regen hat die Natur sehr erfrischt. Von den Freyenwaldern sind wir, wie abgeschnitten, da Karl in Steinspring ist. – Nun steht Dir noch ein großer Genuß in Sicilien, die Besteigung des Aetna bevor. Du mußt mir aber Deine letzte Besteigung des Vesuvs und die Gefahren, die Du dabei gehabt hast, noch näher auseinander setzen, Du hattest sie in dem betreffenden Briefe nur kurz angedeutet, insbesondre wißen wir gar nicht, wo Dein Freund Almers geblieben ist, während Du in den Lavagründen beinah versunken wärst? Du warst ja schon um 10 Uhr oben auf dem Vesuv, während Dein Freund erst um 2 Uhr ankam. Das ist mir noch ganz dunkel. Hoffentlich bist Du nun von dergleichen Waghalsigkeiten gründlich kurirt. A Dieu für heute. Schreibe uns noch, ehe Du nach Sicilien reist. Dein Dich liebender Alter Hkl

[Nachschrift von Charlotte Haeckel]

Mein lieber Herzens Ernst! Wie oft wir hier in Töplitz Deiner gedenken, brauch ich Dir wohl nicht erst zu sagen; wir erinnern uns täglich der schönen Gegenden, die wir mit Dir gesehn haben; dabei wird es auch hauptsächlich bleiben, da ich nichts unternehmen kann. – Wenn es nicht noch ganz anders wird, findest Du Deine alte Mutter, wenn überhaupt noch, ganz körperlich. Doch daß mag sein wie Gott will, bleibt mein Herz doch bis zum letzten Athemzug bei meinen Kindern, und erfleht von Gott Seegen für sie; und so möge Gott darum ferner mit Dir sein, und Dir eine glückliche Heimkehr geben. Mit der innigsten Liebe

Deine alte Mutter.

a gestr.: fre; b korr. aus: Hauptgegenstand; c gestr.: bekräft; eingef.: erwähnt; d korr. aus: wird; e gestr.: die; eingef.: einige; f gestr.: dort; eingef.: da; g gestr.: Dich; eingef.: Dir h gestr.: unsr; i gestr.: und die; j gestr.: Indv

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
22.08.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35874
ID
35874