Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Anna und Ernst Haeckel, [Berlin, Ende Dezember 1862] (Fragment)

Es war recht einsam, als wir Euch nicht mehr hier hatten und wir haben uns erst wieder an die Veränderung gewöhnen müßen. Es ist doch herrlich, die Kinder wenigstens auf eine Zeit lang bei sich zu haben. – Ueber Gegenbaurs Verlobung habe ich mich sehr gefreut, ich bin ein großer Gegner der alten Junggesellenschaft und habe den Segen der Ehe aufs vielfältigste kennen gelernt, man bleibt nur ein halber Mensch, wenn man nicht in der Ehe gelebt hat. Doch kommen viele in das alte Junggesellenleben, ohne es zu wollen. Es hat sich ihnen keine günstige Gelegenheit dargeboten.

Da nun die Kammern zusammen treten, so habe ich mir die Frage über die Landwehr klarzumachen gesucht und [bin] mit mir im Reinen. Unser Militärwesen bedarf meines Erachtens einer großen Reform. Die alten Zopfwirthschaften spuken noch gar zu arg und sind in der neuesten Zeit wieder viel stärker geworden. Es wird eine Maße von Zeit und Geld zu Lumpereien und Spielereien verwendet, die sich noch aus dem vorigen Jahrhundert herschreiben, während das Wesentliche der militärischen Ausbildung: Abhärtung, Turnen, Felddienst etc. vernachläßigt wird. Man sehe sich doch nur hier: Wachen, Paraden etc. an. Die Zeit wird auch dieses über den Haufen werfen. Dazu bedürfen wir aber Krieg, den man nicht gewaltsam herbeiführen kann. Was die Landwehr betrifft, so muß man streng am 1sten Aufgebot der Landwehr festhalten, das 2te Aufgebot, wie es sich in den Freiheitskriegen darstellte, wird sich nach den Verhältnißen modificiren müßen. Das 1ste Aufgebot muß einen wesentlichen Bestandtheil der Armee bilden, die Officiere deßelben sind ganz andere Elemente als die a Officiere von Metier, die wenig nach der Freiheit fragen, wenn sie nur ihr Handwerk treiben können. – Ich sehne mich nach den lichtern Tagen.

Euer Alter Hkl.

a gestr.: des stehen

 

Letter metadata

Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35670
ID
35670