Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 2. Dezmber 1881

Potsdam 2 Decbr

1881.

Lieber Bruder!

Nach meiner Berechnung müssen jetzt Briefe, die Dich zu unserm Weihnachtsfeste treffen sollen, auf die Post gegeben werden; sonst kommen sie nicht rechtzeitig an. Wie anders wirst Du das Fest diesmal zubringen als sonst im Familienkreise! Kennt man denn dort in christlichen resp. englischen Kreisen ein ähnliches Fest? –

In meinem Hause wird uns Heinz fehlen. Von ihm habe ich eben heute Brief, wonach er die anatomische u. physiologische Station glücklich hinter sich hat, in der chirurgischen schwitzt, u. dann noch die schlimmsten − Pathologie bei Kussmaul u. Recklinghausen – vor sich hat. Er hofft bis Ende Januar kommenden Jahres, wenn alles gut geht, fertig zu sein. – Hermann reist jetzt als Wandergärtner umher, kommt aber zu Weihnachten von seinen Exkursionen in der Nähe der Ostbahn zurück, und geht nachher noch nach Pommern u. der Uckermark. Von Carl sind die Nachrichten unverändert; er hat wieder eine aufgeregtere Periode hinter sich. Die Schuljungen sind fleißig und machen mir Freude. Georg namentlich hat sich seit vorigem Frühjahr recht zusammengenommen. Ernst hat im botanischen Garten in Berlin im September seinen Chef, Inspektor Bouché, durch den Tod verloren. Jetzt vikarirt der Universitätsgärtner. Die Mädel hören jetzt viel Musik und musiziren auch selbst. Mieze singt auch. – Um nun auf Deinen „lieben Bruder“ zu kommen, so geht es dem || immer noch nicht sonderlich. Die Ischias-Schmerzen in der linken Seite u. Bein haben sich so gesteigert, daß ich nicht mehr laufen konnte und seit Montag 28t vorigen Monats fest liege. Ebmeier erhofft allein vom Liegen günstige Wirkung, eventuell will er noch Elektrizität (mit konstantem Strom) anwenden. Auf 6-8 Wochen Liegen muß ich mich gefaßt machen. Schmerzen habe ich nicht viel, aber rückenweise doch recht empfindliche, namentlich in der linken Wade.

Wie es in politicis aussieht, wird Dir deine Coelner sagen. Mit dem Ausfall der Wahlen kann man ja im Allgemeinen zufrieden sein. Doch haben Conservative und Clericale mit einigem Anhang von Polen und Pietistlern die Majorität und Bismarck scheint ja immer mehr auf eine dauernde Koalition zwischen Conservativen und Clericalen hinzuarbeiten, vermuthlich unter Aufgabe der schwer errungenen Position des Reiches gegenüber Rom. Das ist wohl das Bedauerlichste an der Sache. Ich hoffe immer, daß der Karren nicht zu tief in den Dreck gefahren sein wird, bevor eine andre Strömung wieder die Oberhand gewinnt. Die Schwächezufälle beim Kaiser in Berlin haben sich wiederholt u. der Zustand ist immer sehr unsicher. Die Verhandlungen über den Etat – am Montag, Dienstag und Mittwoch dieser Woche – 28. 29. und 30 November – mußt Du doch ja lesen, Bismarck hat sich darin mal gründlich aufgeknöpft. – Vorige Woche waren Tante Bertha u. Hedwig Bleek grad den 22t hier; wir feierten unsers lieben Alten 100-jährigen Geburtstag bei mir zu Mittag. || Ich ermahnte unsre Jungen, sich ihn als Vorbild zu nehmen in seinem Streben nach dem Idealen und in tapfren Patriotismus, der sich so recht in den noch vorhandenen Briefen aus der Kriegszeit ausaspricht.

Mutter geht es leidlich. Sie ist jetzt Abends meist unten bei mir, wo dann nach dem Essen ein historischer Roman gelesen wird. Beim Gericht bin ich vollständig beurlaubt. Für das Verwaltungsgericht arbeite ich einiges zu Hause. –

Wir sind recht gespannt auf Deine nächsten Briefe über Bombay (der wohl dieser Tage kommt) und über die Gestaltung Deines Lebens auf Ceylon. Bis auf weitere Weisung behalte ich die alte Adresse in Colombo bei.

Herzinnigen Gruß von

Deinem treuen Bruder

Karl.

Die Deinen hoffen wir in der Weihnachtszeit zu sehen. Frau Niedner erkundigt sich oft nach Dir. – Den Unfall mit den elektrischen Motor hast du hoffentlich ganz verwunden.

a gestr.: der Kriegs

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
02.12.1881
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35108
ID
35108