Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 17. April 1864

Landsberg 17 April 1864

Lieber Bruder!

Dieser Tage erhielt ich Deinen Brief vom 5 April aus Berlin hergesandt, u. freute mich recht, daß es nun doch mit dem Arbeiten bei Dir geht u. die Medusen Dich gehörig in Thätigkeit setzen. Ich las heute in dem Leben des alten Ober Präsidenten von Vincke, wie er sich – wiederholt den vergeblichen Ansatz zur Verlobung machend, weil das eine mal die Verhältniße eine Verbindung nicht gestatten, das andere Mal keine Genehmigung vorhanden ist – in ähnlicher Weise wie Du ausspricht –, daß ohne ein häusliches Glück ihm das Dasein ein freudeloses sei, er jedoch um so mehr mit aller Kraft seinen Beruf als Staatsbürger auszufüllen suchen werde. Wenn Dir nun auch ein viel schwereres Loos gefallen ist, da Du jetzt das bereits genossene Glück entbehrst, so hoffe ich doch, daß Du allmählig die Kraft gewinnst, durch die Leistungen für Deinen Beruf u. für die Wissenschaft Deine fernere Lebensaufgabe zu erfüllen und daß a Dir das Bewußtsein, der Allgemeinheit dadurch zu nützen, b die Existenz erträglicher machen wird. Es ist sehr richtig, wenn Du sagst, für Deinen Zustand seien die besten Heilmittel: Arbeit, Natur und Einsamkeit. Aber Du wirst mir gewiß Recht geben, wenn ich hinzusetze, daß die innige Theilnahme der Aeltern, Geschwister u. Freundec auch wohlthuend auf Dich wirkt. Weit entfernt, Dir den schweren || Verlust in irgend einer Weise ersetzen zu können, hält doch dieses Verhalten der Dir Nächststehenden das Gefühl der Theilnahme für andere, in dem doch alles edlere Seelenleben wurzelt, in Dird wach; es lindert den Schmerz u. beruhigt, während die andern 3 Faktoren mehr nur dazu beitragen können, den Geist zu stählen zur Bezwingung des Schmerzes.

Ich bin noch immer Strohwittwer, meine Mimmi kommt mit den Kindern erst am 21st (den Tag nach dem Bußtage) zurück. Ich freue mich, daß sie gerade jetzt längere Zeit bei den lieben Alten hat zubringen können, da sie u. die Kinder ihnen in trüber Zeit doch viel Erheiterung u. Freude machen. Unsrem Alten ist, wie sich voraussehen ließ, der Tod des alten Kühne recht nahe gegangen, und es wird gewiß auch ihm der Aufenthalt in Jena recht zuträglich sein. Die schöne Natur spricht uns alle doch ungemein an. Ich habe, seit das Frühjahr beginnt, wieder ein rechtes Heimweh nach den Freienwalder u. Thüringer Bergen. In einem Orte wie der hiesige hält man es in der That in der rauheren Jahreszeit viel eher aus, da entbehrt man nicht so den Naturgenuß. Ich hatte mich, da es hier so schwer fällt, eine ordentliche Wohnung zu bekommen, in den letzten Wochen mehrfach mit Plänen, e durch Anbau oder Ankauf diesem Mangel abzuhelfen, getragen. Allein nach reiflicher Ueberlegung stand || ich wieder davon ab, obgleich die Aeltern das Nöthige dazu zusicherten. Ich that es, weil es mich doch zu theuer kommen würde u. ich für weniger Zinsen mir eine angenehme Wohnung mit der Zeit miethen zu können hoffe. Aber es ist mir jetzt auch deshalb so lieber, weil ich dann weniger an Landsberg gebunden bin u. ich doch – sind erst unsre politischen Verhältnisse andre geworden – einmal nach einer Stadt mit angenehmerer Umgebung kommen zu können hoffe.

− In dem Vinkischen Leben habe ich dieser Tage eine recht interessante Partie, seine Reise nach Spanien in den Jahren 1802/3 gelesen, er machte dieselbe zusammen mit einem alten Bekannten Vaters, dem damaligen Referendar Hecht (später Regierungs Rath in Potsdam, tüchtiger Botaniker), um Böcke u. Schaafe zur Verbesserung der einheimischen Schaafzucht dort anzukaufen. Aber wie verwahrlost und zurück in der Kulturf fand er das schöne Land! – Das Buch ist überhaupt recht anziehend. V. ist ein prächtiger Mann von unermüdeter, aufopfernder Berufsthätigkeit, die in der Fürsorge für ihre Mitmenschen die höchste Befriedigung findet, so recht ein Beamter, wie er sein soll, u. wie sie jetzt immer seltner werden. Unser jetziges Regime ist recht dazu gemacht, solche edle Gesinnung im Beamtenstand auszurotten u. die Mehr-||zahl desselben zu demoralisiren. Je länger es dauert, desto schlimmer werden diese Nachwirkungen sein. Hier in Landsberg kann man die Belege dafür recht studiren.

Nun ade! lieber Bruder. Der Brief muß fort.

In treuer Liebe

Dein Karl.

a gestr.: Dich; b gestr.: zur; c eingef.: u. Freunde; d eingef.: in Dir; e gestr.: mich; f eingef.: in der Kultur

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
17.04.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34965
ID
34965