Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 13. November 1863

Landsberg a/W

den 13 Novbr 1863.

Lieber Ernst!

Dein Brief kam gestern grad zur rechten Zeit, um die Einlage nach Berlin sogleich weiter senden zu können. Heute beeile ich mich, Dir auf Deine Anfrage wegen des Geschenks für Vater zu antworten. Ich habe bereits eins: Bibliothek politischer Reden des 18t. und 19t Seculums, bin jedoch nicht abgeneigt zum Weihnachten mit Dir zusammen etwas zu schenken. Von dem Steinschen Werke möchte ich Dir deshalb abrathen, weil Vater doch schon das größere Werk von Gervinus, das jetzt bis zum Jahr 1830 geht hat. Auch weiß man nach den ersten Lieferungen eines solchen Werks noch nicht, wie das Ganze ausfallen wird. Ich möchte Dir statt dessen vorschlagen

Beitzke, Geschichte des Russisch-Französischen Krieges v. 1812 (Pendant zu dem Werke über d. Freiheitskriege, sehr gut und klar) ca. 1½ rℓ

oder:

v. Rochau’s Geschichte Frankreichs v. 1815 bis zur neusten Zeit.

oder:

die neu herausgekommene Russische Geschichte seit 1815 von v. Bernhardi

oder:

Geschichte Österreichs seit 1815 von Hübner Th. 1 (letztere 3 Werke sind aus der || Bibliothek für neuere Geschichte, die bei Hirzel in Leipzig erscheint, oder: Kapp, Leben des Generals v. Steuben, oder: Adolph Schmidt Zeitgenössische Geschichten (Österreichs v. 1830/48. Frankreichs v. 1815/30) Preis: 3⅔ rℓ

Du wirst all diese Sachen dort vorräthig finden. Ist Dir allein es zu theuer, so trete ich bei u. Du schenkst für Weihnachten und Geburts Tag.

Daß die Alten schon am 17t reisen wollen, erfahren wir zuerst durch Euch. Es fragt sich nun, ob sie es nicht ein paar Tage hinausschieben müssen, da Mutter Minnchen zur Zeit noch hier ist. Sie kam am Mittwoch den 4 November, ist aber von Sonntag ab unwohl gewesen, u. hat einige Tage gelegen. Seit gestern ist sie wieder auf u. will den Sonntag fort. Ob sie aber a das ausführen wird, hängt vom Wetter u. dem Fortgang der Besserung ab. Sie läßt Anna schön grüßen, u. sie würde schreiben, sobald ihr wieder darnach sei, heute ginge es noch nicht. Unsres Dafürhalten hatte sie sich schon in Heringsdorf etwas geholt, rsp. auf der Reise u. die Erkältung ist b dann hier zum Ausbruch gekommen; etwas anderes als ein || tüchtiges Erkältungsfieber ist es nicht.

Ich habe vom 4t bis gestern unteren Schwurgerichtsdienst als Beisitzer gehabt: meist langweilig u. ermüdend, aber auch einige interessante Fälle dabei. Unser Dirigens benahm sich in Folge einiger Freisprechungen rsp. zu milden Verdikte recht taktlos. Aber wahr ist es, daß unsre Geschwornen noch vielfach recht dummes Zeug zu Tage fördern.

Die Schleicher’sche Brochure habe ich richtig erhalten u. mit sehr vielem Interesse gelesen. Die Analogie der Sprachenentwicklung mit derjenigen in den Naturreichen ist ja schlagend u. höchst bedeutsam. Hr. Roestel hat jetzt die Brochure von mir. Mache nur, daß Du Deine Vorlesung in passender Bearbeitung bald erscheinen läßt. Vielleicht noch etwas ausführlicher, aber doch so, daß er dazu dient, das große Publikum über die Frage zu orientiren.

In Politicis sieht es jetzt lieblich bei uns aus: so, daß selbst die Berliner Allgemeine Zeitung c die Möglichkeit einer Versöhnung aufgiebt. Die in der Thronrede angekündigten neuen Vorlagen sind nur neue || Faustschläge in das Gesicht der verfassungstreuen Majorität. Wir werden, nach der Rede oder vielmehr Äußerung in Prenzlau zu schließen, einen langwierigen Kampf mit den Feudalen durchmachen müssen, u. können nur wünschen, daß das Volk mit Zähigkeit in demselben ausharrt. Die Verstimmung u. der innere Groll sind natürlich im Zunehmen, an Maaßreglungen der kläglichster Art fehlt es nicht. Jeder Kreis weiß davon zu erzählen.

Ueber die erhebliche Zahl Deiner Zuhörer in diesem Semester habe ich mich recht gefreut. Wie schade, daß Jena nicht näher liegt. Da rutschte ich bald einmal herüber, um zu sehen, wie es Euch geht. Mit unserer Wohnung sind wir stellenweis zufrieden. Ich habe entschieden das bessere Loos gezogen. Dagegen ist die Kinderstube u. Mimmi’s Schlafzimmer doch sehr eng. Unsere Lebensweise ist nun schon ganz winterlich. An den langen Abenden wird dann und wannd ein billiges Abonnements-Conzert von uns beiden besucht. Ich gehe regelmäßig zum Kegeln oder in das ziemlich reichhaltige Lesezimmer unserer Resource, auch 2mal zum Turnen u. Sonntag in die Vorturnerstunde, in der jetzt viel Stoßfechten geübt wird. Zu Hause lese ich viel. Nun ade, liebes Bruderherz

In alter Treue

Dein CH.

Nach der National Zeitung ist dieser Tage ein Dr. med. Albert Kühne in Berlin gestorben; ist das Dein Bekannter?e ||

In der Deutschen Allgemeinen Zeitung (Leipziger) las ich Dr. Braune’s Verheirathung vor c. 14 Tagen angezeigt.f

Zum 26st schreibt uns jedenfalls hierher, wenn Ihr inzwischen keine Contreordre erhaltet.g

a gestr.: bei; b gestr.: hier; c gestr.: von; d gestr.: bald; eingef.: dann u. wann; e Text weiter auf dem linken Seitenrand: Nach der … Dein Bekannter?; f Text weiter auf dem linken Rand von S. 3: In der … Tagen angezeigt.; g Text weiter auf dem linken Rand von S. 2: Zum 26st … Contreordre erhaltet.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.11.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34955
ID
34955