Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 22. Juni 1912

Jena 22. Juni 1912.

Liebster Freund!

Heute Morgen habe ich zum ersten Male den herrlichen Fahrstuhl probiert, den Deine unerschöpfliche Güte mir gespendet hat und der gestern wohlbehalten hier eingetroffen ist. Das kostbare Dreirad – ebenso elegant äußerlich (– und für mich zu schön!! –) als höchst bequem und praktisch im Gebrauch, – ist wirklich ausgezeichnet, und ich danke Dir tausendmal für das Opfer, das Du mir damit gebracht hast! –

Der kalendermäßige „Sommers-Anfang“ hat sich hier heute mit schönstem Sonnenschein eingeleitet und die Morgenstunde im lieben „Paradiese“, das ich zum ersten Male in diesem Jahr wieder betrat, – am Ufer der Saale, erweckte in mir wieder alte Glücksgefühle! ||

Ich werde nun regelmäßig zwei Morgenstunden meiner neuen Kur widmen. Um 9 Uhr fährt mich mein Masseur auf eine Stunde in’s Paradies, dann wäscht und massirt er mich. Ich hoffe, daß diese neue Methode mich weiter bringt, als diea verwünschte „Zwangsjacke“ mit Beinschienen, deren Druck und Hitze namentlich bei heißem Sommer-Wetter unerträglich wird. Ich habe die Maschiene einstweilen kalt gestellt. Im Übrigen muß ich mich mit Resignation in das Schicksal fügen, weder reisen noch schwimmen und Bergsteigen zu können. Mit 78 Jahren bleibt nur das „Paradies der Erinnerung“ – in dem Du eine liebe Hauptfigur bleibst! ||

Der Fahrstuhl ist einstweilen praktisch im Parterre Hause des Phyletischen Museum untergebracht, von wo er in die Villa Medusa geholt wird. Später wird er in dem Schutzhäuschen untergebracht und im Garten aufgestellt werden, da in unsrem engen Hause kein Platz mehr ist.

– Im Paradiese begegnete ich Frl. Maria Holgers, die gestern eine Einladung zur hiesigen „Sommerwend-Feier des Monistenbundes“ (auf dem Forst) eingetroffen ist, an der ich leider nicht teilnehmen konnte. Sie erzählte mir mit herzlicher Dankbarkeit von dem freundlichen Besuche, den Du ihr in Berlin abgestattet hast. Sie bleibt einige Wochen hier, um einen Teil der Archiv-Arbeiten zu übernehmen. ||

Heute Nachmittag machte ich wieder eine schöne Wagenfahrt (von 5–7) auf den Forst, auf dem schönen neuen „Bismarck-Wege“, den ich vor 14 Tagen mit Dir und Walter gefahren bin. Schwester Röschen, die seit einem Jahr keine Wagenfahrt machen konnte, erfreute sich mit mir des herrlichen Waldes, und wir gedachten dankbar des lieben Besuchs, den Du uns abgestattet hattest. Walter ist seit 8 Tagen nach München zurück, nachdem er mit mir 7 Wochen tapfer gewirtschaftet und zu Hause mir ins Archiv Wagenladungen überflüssigen Papiers (und alten 50jährigen „Andenken“) fortgeschafft hatte. – Deine hiesigen „Schweine-Abenteuer“ haben uns sehr amusirt! Die Taucherkünste bei Terschelling werden Dir hoffentlich aus dem „Latona“ ein großes „Goldenes Schwein“ heraufbefördern!

Mit herzlichsten Grüssen von Haus zu Haus treulichst Dein alter Ernst Haeckel.b

a korr.: das; b Text weiter am linken Rand von S. 4: Mit herzlichsten … Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
22.06.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32943
ID
32943