Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Richard Semon, Jena, 11. Dezember 1901

Jena 11.12.1901.

Lieber Semon!

Ihr gestriger, so eben erhaltener Brief hat die Ansichten bestätigt, die ich selbst von Ihrer finanziellen Lage und von Ihren Beziehungen zu Ihrem monumentalen Werke, der „Australischen Forschungsreisen“, mir bereits gebildet hatte. Ich hatte diese Ansichten auch in der kritischen Sitzung der Med. Nat. Ges. vom 29.11., in welcher deren schwierige Finanzlage erörtert wurde, vertreten; indessen fand ich damit nicht viel Anklang, da von anderer Seite (– deren erste Quelle mir unbekannt blieb –) hier neben anderen Fabeln auch wunderbare Mythen über Ihre „Millionen-Erbschaft vom Goldonkel“ in Umlauf gesetzt worden sind. ||

Über diese Jenenser Mythologie können Sie sich mit mir trösten; auch über meine Person und Thätigkeit circuliren hier wunderbare Geschichten. Auch ist meine hiesige, keineswegs einflußreiche Stellung durch den christlichen Kreuzzug, den unser frommer Oberhirte, Superintendent Braasch fortdauernd predigt, sehr isolirt worden. Seit dem Verluste von Freund Fürbringer kann ich hier nur noch auf wenige treue Seelen zählen.

Leider haben nur Wenig hier für den Nutzen Verständniß, welchen das Erscheinen Ihres Werkes materiell (für die Univ. Bibliothek), und noch mehr imponderabel für das wissensch. Ansehen Jena und von seiner Med. Nat. Ges. bringt. ||

Übrigens habe ich jetzt gute Hoffnung, daß wir doch noch unsere Finanz-Kalamität heben werden. Nach wiederholten eingehenden Gesprächen mit Abbe und Eggeling kann ich annehmen, daß zunächst aus der „Karl-Zeiss-Stiftung“ – entsprechend dem jetzt an die Regierung abgehenden Berichte – 3000 Mk zur Deckung der jetzigen Schuld bewilligt werden; außerdem hoffentlich der ständige Zuschuß der Regierung zur Kasse der Gesellschaft erhöht werden wird.

Freund Fürbringer hat mir in hochherziger Weise vorgestern 1000 Mk als persönlichen Beitrag geschickt, da er selbst durch allzuliberale Förderung unserer Publicationen an den starken Mehrausgaben mit Schuld sei. || Ich habe ihm aber sofort geantwortet, daß wir hoffentlich nicht nöthig haben, davon Gebrauch zu machen, und ihm die (– einstweilen hier deponirte) Summe bald zurücksenden können.

Leider sind die jährlichen Erträge der Ritter-Stiftung (10.000 Mk) zur Hälfte durch die beiden Professuren (Phylog. u. Palaeont.) a und durch Assistenten-Gehalt fest gelegt; zur anderen Hälfte durch Reise-Stipendien und Bibliothek, sowie das (ständige!) Deficit des Zool. Inst. in Anspruch genommen. Sobald ich Etwas zu Gunsten Ihres Werkes erübrigen kann, werde ich es sicher thun.

Mit freundlichen Grüßen – und in Hoffnung auf „Bessere Zeiten“

Ihr alter

E. Haeckel.

a gestr.: fest

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.12.1901
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32678
ID
32678