Ehlers, Ernst

Ernst Ehlers an Ernst Haeckel, Göttingen, 13. Juni 1860

Mein lieber Häckel!

Glücklich von unserem Winterfeldzuge gegen pelagische Ungeheuer mit und ohne Kieselpanzer hier in das stille Bierdorf und an die Leine zurückgekehrt, ist es eine meiner ersten Aufgaben, Ihnen der Abrede gemäß meinen Brief zugehen zu lassen. Dass dabei höchst egoistische Motive mit im Spiele sind, werden Sie bald erfahren.

Das schöne Messina haben wir nicht in wilder Flucht, sondern in geordnetem Rückzuge höherer Macht weichend verlassen; Sie wissen vielleicht von Dr Bartels Jun, dass wir nachdem es am Ostersonntag Abend in der Stadt zum Feuern gekommen war, mit dem gerade im Hafen liegenden franz. Boot am nächsten Tage auf und davon gingen. So haben wir dann von Sicilien nichts mehr gesehen, als einzig und allein Messina!! – Auch wegen unserer wohlverpacktena Sammlung etc, die wir in || Peters’ Hände übergeben hatten, waren wir längere Zeit in Sorge, da wir beim Ausbruch der Unruhen die meisten der Schiffe augenblicklich den Hafen verlaßen sahen; doch haben wir jetzt von Hamburg aus die Nachricht, daß das von Peters gefrachtete Schiff am 30sten April Messina verlassen hat. Familie Peters ist augenblicklich, wie wir zugleich erfuhren, in Genf. Das französische Boot brachte uns von Messina nach Civita vecchia, von da gings nach Rom. Nach Rom! wenn es einem doch beschieden wäre, mit diesem Rufe noch einmal von dannen zu ziehen. Sie haben Recht, bester Häckel, wenn Sie damals Rom über alles priesen; wir stimmen dem völlig bei. Fünf schöne Frühlingswochen haben wir in Rom geschwelgt und genossen. Unsere Wohnung hatten wir an der Piazza di Spagna bei Kunde im Hause, der uns mit ungemeiner Liebenswürdigkeit empfing und behandelte. Eben die lieben Leute, mit denen wir in Rom verkehrten, haben uns den Aufenthalt dort doppelt angenehm, den Abschied doppelt schwer gemacht. Allmers wird Ihnen wohl von der Gesellschaft Colonna erzählt haben, in der er gelebt hat; auch wir || wurden durch Ihre Caprigenossen Köhler und Bock hier eingeführt, und haben sehr fidele Stunden darin verlebt. – Florenz, wo wir 10 Tage verlebten, kann doch nach Rom sich nicht recht geltend machen, so schön wie es immer ist. – Über Pisa, Livorno, Genua eilten wir nun deutschem Heimatboden zu, und am 1 Juni Morgens war ich bei meinen Eltern in Lüneburg. Keferstein blieb in Göttingen, ihn mochte wohl ein starker Magnet zuerst hier anziehen: mir gegenüber hat er das alte Schweigen noch nicht gebrochen, während man hier in der Stadt schon lange seine Verlobung als ein fait accompli beklatscht hat.

Leider geht es dem guten Kerl nicht ganz so gut, wie ich ihm wünschen möchte: er warf noch in Florenz eines Abends Blut aus, und das Ereignis hat sehr deprimierend auf ihn gewirkt.

Und nun zu ihnen, lieber Häckel! Über alle Fragen wie geht’s etc bitte ich um Nachricht; auch wie weit Sie mit Ihren Acanthometren gediehen sind, um deren willen wir so oft Sie gescholten haben, wenn’s zu Tisch gehen sollte. – Von unseren Arbeiten werden zunächst die Siphonophoren zur Veröffent-||lichung kommen; inzwischen ist nun allerdings die gleiche Arbeit von Claus erschienen, und hat uns in manchen Puncten den Unsterblichkeitsruhm der Priorität entrissen, so dass wir uns damit begnügen müssen, die Selbständigkeit unserer Arbeit hinzustellen. Wie wir hörten sind Sie mit Kölliker in Paris zusamengetroffen, haben Sie von ihm etwas über diese gleichzeitigen Siphonophorenarbeiten gehört, er hatte Kefersteins letzten Brief, worin er ihm einige Resultate mitteilte, nicht beantwortet. – An jedem Dinge, sagt man, kommt das dicke Ende noch: hier sind es nun meine egoistischen Sonderinteressen. Zunächst: haben Sie für mich in Paris einen Schädel acquiriert? Dann aber möchte ich Sie ersuchen, für mich in Berlin ein Okularmikrometer (Metermaas)b zu erstehen; ich weiß nicht wohin ich mich deshalb wenden soll. Die einliegende runde Papierscheibe ist der äußere Umfang meines Mikroskoptubus; nun möchte ich aber gern, dass das Okularmikrometer im Tubus etwas Spielraum hat, damit man beim Meßen das Mikrometer im Tubus etwas hin und her rücken, und so genau zum Messen einstellen kann. Mit der Übersendung der Sachen, sowie || mit der Bezahlung richten Sie es ganz nach Ihrem Gefallen ein: nur bitte ich Sie, mich darüber zu benachrichtigen. Schreiben müßen Sie mir nun doch bald mal, damit wir erfahren, wie es Ihnen ergangen ist; Ihr Eintreffen und Empfang am Hafenplatz No 4 sollten Sie eigentlich mit hohem dithyrambischen Schwung, in Odenform Pindar-Anakreontischer Begeisterung voll besingen und uns zugehen laßen; und wie steht’s mit dem letzten Reste Ihres Weltschmerzes, der unter der Sonne des Südens so eutrophisch geworden war? – Ich finde mich noch immer nicht wieder zu recht in unserem kalten, klugen Norden, Kliniken, Kleinstädterei und Universitätsklatsch; die meisten Verhältnisse erscheinen mir kleinlich oderc erbärmlich; aber oft bietet sich dem Humor ein guter Stoff. – Eben fällt mir ein, dass wir die von schönen Händen geschriebene Gegenbauersche Doliolumarbeit noch besitzen, ich werde sie Keferstein abfordern und Ihnen mit zugehen lassen. – Da ich Ihre Adresse nicht weiß, und nur Hafenplatz No 4 mir im Gedächtnis geblieben ist, so werde ich den Brief Ihrer Braut schicken, der Sie dann auf irgend eine Weise meinen und Ihren Dank ausdrücken mögen. Keferstein grüsst. Schreiben Sie recht bald und seien Sie gegrüßt von

Ihrem

„auffallend schönen“

Freund Pseudomephisto.

E.Ehlers

Göttingen 13 Juni 1860 | (Jüdenstrasse 444)

a korr. aus: wohlgerpackten; b eingef. mit Einfügungszeichen: (Metermaas); c korr. aus: und

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.06.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2694
ID
2694