Finsterbusch, Ludwig

Ludwig Finsterbusch an Charlotte Haeckel, Hagen, 8. Dezember 1861

Hagen am 8. December 1861.

Geehrte Frau Räthin!

Es würde Ihnen gewiß viel Vergnügen gemacht haben, wenn sie meine Überraschung heute morgen hätten mit ansehen können. Ein Paket aus Berlin – ich konnte mir nicht enträthseln, was für Sendungen von Berlin mir kommen sollten, es müssten denn etwa Bücher von Kamphmeyer sein. Indeß die Handschrift auf dem Couvert verrieth nichts Kaufmännisches, und da der Briefträger nur 6 Pfennige verlangte, auch kein Postvorschuß zu zahlen war, so griff ich aus reiner Neugierde hastig zu. Und mir wurde mein kühner Entschluß belohnt! Im fernen Schlesien und im fernen Berlin hatten liebe Frauen meiner gedacht, ohne daß ich das Geringste geahnt hatte, und während meine Gedanken nur selten weiter nach Osten hin sich verirrt hatten, als bis in die Grafschaft Ravensberg, zu der heiligen Zion meines Herzens, dem alten Herford, oder in den Teutoburger Wald, wo der erste Keim meiner Liebe, und will‘s Gott, meines Lebensglückes sich entfaltete. Die Braut meines lieben Jugendgespielen, meines treuen Freundes, der mich weit überholt hat, hat für mich genäht, für mich gestickt. Nun Ernst muß es mir schon verzeihen, wenn ich auf seine || Kosten in diesem wonnigen Gefühle schwelge und darüber das abscheuliche Decemberwetter und, was mehr sagen will, die politischen, die Wahlangelegenheiten vergesse. Aber was kann ich dafür? Nach der Wonne der Liebe und außer der Freude über fleißige und dankbare Schüler giebt es für mich nichts Wohlthuenderes, und für das Herz, insofern es nicht wissenschaftlich und nicht staatsbürgerlich ist, nichts Erfreulicheres, als ein Zeichen von Frauenhuld. Ich habe so manche liebe Erinnerung an ein dankbares Mutterherz aus meiner letzten Stelle in Mecklenburg mitgebracht, denn die Staatsräthin wußte wohl, wie sehr das menschliche Herz der Aufrichtung durch solche sichtbare Erinnerungen bedarf, wenn es zagt über das Wenige, was es leisten kann im Verhältniß zu dem, was es leisten möchte; und nur zu wahr ist es, was sie mir später nach meinem Abgange schrieb: Es giebt nur Ein Gut hienieden – das ist ein stilles segensvolles Wirken, und freundliche Menschen, die es dankbar anerkennen. Sehen Sie, da hatte es noch einen Grund, die Dankbarkeit. Und wenn ich auch bescheiden Alles ablehnen will, was mir ein Verdienst auf diese Dankbarkeit geben könnte, so kann ich doch die Thatsache nicht bestreiten, daß der Andere mir dankbar sein will, gleichviel, ob ich‘s verdiene oder nicht. Aber in diesem Falle – heute – Ihnen und Fräulein Anna gegenüber, fehlt mir auch diese Stütze, und es bleibt mir nichts anderes übrig, als die || Thatsache anzuerkennen und mich von Grund meines Herzens darüber zu freuen, daß die Freundschaftsgefühle, die Ernst für mich hatte, als wir als Knaben fröhlich spielten, auch auf seine Mutter und auf seine Braut übergegangen sind und mir trotz der zeitlichen und räumlichen Entfernung erhalten worden sind. So ernte ich denn, wo ich nicht gesäet habe, und kann Ihnen nur durch meine innige Freude danken.

Wie ich es auspackte und meinen Namen so zierlich gezeichnet fand, habe ich mich wie ein Kind gefreut, und ich gedachte so recht seelenvergnügt der Weihnachtsabende in Merseburg, als ich voller Seligkeit nach Hause lief, nicht ging; bepackt mit Kärcher‘s lateinischem Wörterbuche, was Sie mir geschenkt hatten, und als meine Eltern nicht begreifen konnten, wie ich so unbändig froh sein konnte über ein Buch, wo nicht ein vernünftiges Wort drin stände. Sie wussten freilich nicht, was ich für Noth bei der Präparation gehabt hatte, solange mir das Lexicon fehlte. So beglückten Sie den Knaben, als die Elemente der Wissenschaft seine Braut war, und jetzt wo ich als Mann den letzten Schritt thue, um mein Erdenglück zu gründen und mich, der ich nicht glaubte jemals das Glück der Ehe genießen zu können, mich von einem wackern, biedern, deutschen Mädchenherzen so unendlich geliebt weiß, von einem Wesen, dessen Sinn und Gemüth gleich dem || meinigen, fern von leerem Tand und eitlem Vergnügen, für Höheres schlägt und zugleich Ihrem herzlich gemeinten Wunsche alle Ehre machen wird, daß sie eine wackere Hausfrau sein möge: jetzt treten wiederum Sie, die Mutter meines Freundes, diesmal noch durch eines Engels Hülfe unterstützt, mit reichen Händen an mich heran!

Ja, ja, meine Hermine soll gewiß zugeben, daß man nicht bloß in Bielefeld gute Leinwand webt, und auf Fräulein Anna wird sie ja nicht eifersüchtig werden, das hoffe ich wenigstens, sonst könnte das noch eine schöne Geschichte werden. Denn Sie sind im Irrthum, Frau Räthin, wenn Sie glauben, vielleicht hätte ich sie schon heimgeführt. Schrieb mir doch Ernst von Jena aus, eigentlich sollte ich auch erst ein paar Jahre Freuden und Leiden des Brautstandes genießen. Ich zweifele nicht, daß aus diesem Wunsche das reinste Wohlwollen und innere Überzeugung spricht, indeß da ich einige Jahre mehr zähle, als Ernst, muß ich es schon geschehen lassen, daß ich in dieser Beziehung etwas zu kurz komme, und mag es mit einem Jahre Brautstand sein Bewenden haben. Zu Michaeli soll die Hochzeit sein und wünsche ich, daß alsdann noch ein Paar sich die Hände reicht zu dem lieblichen und doch ernsten Gange durch‘s Leben. Herzlichen Dank für die Grüße an meine Hermine, die ich freilich heute nicht erwidern kann, in 14 Tagen bin ich bei ihr. Herzlichen Dank und Grüße an Fräulein Anna.

Mit dankbarem Herzen

Ihr

Ludwig Finsterbusch.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
08.12.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2325
ID
2325