Weiß, Ernst

Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Halle, 31. Mai 1854

Halle d. 31/5 1854.

Mein lieber Häckel!

Dein ellenlanger prächtiger Brief mag vorläufig mit einem zolllangen beantwortet werden. Du wirst das für ein Quantum von Unverschämtheit = x! halten; doch bitte ich Dich gegen Deinen pfundschwerena Zorn das Quentchen des Wortes „vorläufig“ in die Wagschaale legen zu wollen u. einmal 5 gerade sein zu lassen. Denn warum? Du wirst Dir denken können, daß ich, da ich ohnehin wenig Zeit habe, nach einem ellenlangen Briefe an meinen Onkel (über den dieser sich wohl etwas ennüyren dürfte) nicht einen 2ten desselben Inhalts an Dich zu verfertigen Lust oder Bedürfniß haben werde. Der Brief ist auch vorläufig nicht von Weberschen oder Hetzerschen begleitet. Das wird wohl eine spätere Sendung ausmachen, bei der ich freilich noch nicht weiß, was außer Briefen zu versenden sein soll. Na, ’s wird sich doch noch was finden. Die bisherigen Excursionen haben an Merkwürdigkeiten ergeben: Carex Buxbaumii! u. Früchte von Leucobryum vulgare; sonst blos am Galgenberge Flußspath im Porphyr; im Allgemeinen also wenig, aber nicht viel. – Du siehst, daß auch ich Mineralogie treibe, auch Weber und Hetzer thun das, u. || der Gelehrteste von ihnen, nämlich Hetzer, brachte zugleich bei Lesung dieses Briefs die urgelehrteb Bemerkung u. Correktion, daß „der Quarzsand nicht die Augen verkleistere, sondern nur empfindliche Reibungen hervorbringe.“ Dies beiläufig zur Beherzigung.

Da Du Dich besonders für die chemischen Eigenschaften der Mineralkörper zu interessiren scheinst, so wünschte ich, Du wärest in einer Vorlesung des Herrn Professor Girard gewesen, wo dieser auf das Entschiedenste aussprach, daß diese nur sehr untergeordnet seien, daß man, um die Stellung eines Minerals zu denc andern zu erkennen, ja nicht Eigenschaften herbeiziehen dürfe, die doch zur Bedingung haben, daß der Körper seine Individualität, um mich so auszudrücken, aufgeben muß. Es ist just so, wie mit den Pflanzen, die man auch nicht nach ihrer chemischen Zusammensetzung ordnet. Dadurch wird freilich die ganze Sache etwas schwierig, doch das kann uns nicht bestimmen, einen Fehler zu begehen. Daß Flußspath z. B. Flußsäure enthält, die durch SO3 aus ihm vertrieben Glas ätzt, kann uns keinen Aufschluß über das selbstständige Mineral geben und sein Verhältniß zu den übrigen Mineralien. Doch genug, ich erwähne dies nur, um Dir zu prophezeien, daß Du in chemischer Beziehung von dem Colleg wohl wenig profitiren wirst. – Nun es giebt auch sonst interessante Dinge an den Mineralien, die zwar || nicht sofort verstanden sind, doch die unser Interesse in anderer Beziehung immer rege halten können. Es geht mir übrigens wahrscheinlich just so wie Dir, daß ich nämlich von der Krystallographie noch entsetzlich wenig weggekriegt habe. Das Schlimmste ist, daß Jeder beinahe hierin sein eignes System verfolgt. Besonders über die Axen-Theorie kann ich mich ärgern, da es doch in den natürlichen Krystallen nur in äußerst seltnen Fällen geometrische Axen giebt, es stellt ja doch Alles nur Richtungen, Polarisationsrichtungen dar. – Doch genug. –

Mein Lektionsplan (über die einzelnen Gegenstände habe ich ausführlich an meinen Onkel geschrieben) ist folgender: 7–8 Schlechtendal, über den ich nichts weiter zu sagen brauche. 8–9, Knoblauch, glänzt durch Apparate, nicht durch Vortrag, der für dumme Mediciner eingerichtet ist.

9–10, Burmeister; das ist nun was Ausgezeichnetes, u. ich wünschte Dich oft mit hier bei ihm zu haben. So wenig ich eigentlich Zoolog bin u. je werden kann, so sehr d macht Burmeister doch Alles zum interessantesten Gegenstande.

10–11, Differenzial-Rechnung (die höhere!! Mathematik) auch M. u. S.e Mastozoologie bei Burmeister, hievon gilt dasselbe wie oben.

11–12 frei (meist) 12–1 Mineralogie

2–3 Geologie (meist). Bei der Geologie ist es Schade, wenn man in der Mineralogie noch ein dummer Hund ist. Viel Vergnügen macht mir ein publicum bei Girard: Orographie von Europa, sowie ich auch noch ein paar andere publica besuche oder schinde. Heute hörte ich auch bei Schaller einmal Logik; das ist aber der reine Mord! Der erklärte gar das HOf für etwas Unendliches, oder ein „für sich sein“, woraus weder ich noch Finsterbusch, der mich verführt hatte, dahinein zu laufen, gescheut wurden.g

Finsterbusch hörte auch mit Orographie. – Doch Adieu! Auf baldiges Wiedersprechen

Dein Weiß.h

a eingef.: pfundschweren; b eingef.: ur-; c eingef.: den; d gestr.: inter; e nicht aufgelöst: M. u. S.; f nicht aufgelöst: das HO; g Text am linken Rand von S. 3, um 90° gedreht: paar andere … gescheut wurden.; h Text am linken Rand von S. 2, um 90° gedreht: Finsterbusch hörte … Dein Weiß.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.05.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 16633
ID
16633