Weiß, Ernst

Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 15. Januar 1854

Merseburg d. 15. Jan. 1854.

Mein lieber Häckel!

Nur ein paar Zeilen, welche bestimmt sind, Dich eines unnützen Geschäftes bei Deinen unmenschlichen Arbeiten zu überheben, auch ein wenig einen egoistischen Zweck haben. Ich bin nämlich so eigennützig, daß ich mir von Dir einen recht hübschen, langen, ordentlichen Brief wünsche u. darin doch nichts Unnützes, besonders in Dingen, die mich speciell betreffen, (Alles Übrige, was von Dir kommt, ist natürlich nie unnütz!) zu lesen wünsche. Nun hatte ich Dich, lieber Freund, das Letztemal um gewissen Rath gebeten. Dazu bin ich so eingebildet, daß ich glaube, eine Antwort möchtest Du am Ende bei Dir überlegen u. in Folgea des Überlegens auch vielleicht manche andre „riesig-philosophische“ Gedanken, die nöthiger sind, nicht vornehmen. So etwas kann ich nun durchaus nicht verlangen, u. da ich ohnehin dieses Rathes, propter aliquot res, kaum mehr bedarf, – so hast Du hier den Grund meines gegenwärtigen Schreibens. – Mais il faut de parler de moi. Hier ist nun freilich der wunderbare Ausspruch jenes noch wunderbareren Weisen anzuwenden: Tempora mutantur et nos mutamus in illis! Davon hast Du schon im vorigen Briefe ein Exempel erhalten, b so daß ich noch immer gewaltig Deinen strafenden Zorn, sowie zürnende Strafpredigt fürchte; heute bekommst Du ein zweites Exempel. || Nämlich – gesetzt den Fall, daß ich durchs Examen käme – so würde ich doch nicht in Berlin studiren!!! – Sondern – – in Halle!!!!!!!!….. – Wie hieß es gleich?: tempora etc. – Einige Träume, die ich gehabt, zerbrechen da freilich wie Glas, z. B. Träume von baldigem Zusammenstudiren mit gewissen Herzensjungenc, von in die Welt kommen etc. etc. etc. Doch das beiläufig, sagt der Olle. Das caput rei ist, was daraus folgt, nämlich aus dem in Halle studiren. Einfach dies, daß mit Botanik-Hören ganz u. gar nichts werden kann (bei Schlechtendal nämlich), das vielleicht das Interesse an Botanik sich immer mehr abgestumpfen, abhärten, abreiben wird u. s. w., das vielleicht mein Herbarium ins Feuer oder sonstigen Winkel wandern wird, jedenfalls aber das ich Deinen Rath in Betreff des fraglichen anzunehmenden Collegs bei Braun natürlich nicht brauchen kann, wie Du Dich auch entscheiden möchtest. Du magst daher Deine Zeit besser anwenden, als mit Überlegen, was wohl in Berlin für mich das Beste wäre. Doch ich will nicht so scheinbar gleichgültig reden, wobei mir doch Alles weh thut. Freilich ist’s mir nicht einerlei, freilich stößt’s mich sehr von Halle (gewisser Leute wegen vorzüglich) ab, freilich habe ich immer gewünscht, wenn auch nicht nach Berlin d, so doch aus Preußen heraus zu gehen, wußte freilich keine Universität anzugeben, weil ich die Professoren der einzelnen Universitäten nicht kenne u. Jena doch weiter nichts als Schleiden hat, es zog mich halt nach einer Gegend, die mir nicht so bekannt wie die Merseburg-Hallische ist, nach Süddeutschland und was weiß ich. Freilich bin ich auch noch nicht beruhigt über die Glasscherben. Indes dieses beiläufig. – Man lernt eben eine Hauptregel, die Einem Niemand e vorher sagt und die um so mehr dann zu schaffen macht, nämlich: hänge Dein Herz nicht zu sehr an eine Idee, einen Wunsch. Doch ich sehe, ich ennüire Dich nur mit meinem Geschwätz, u. daher will ich sogleich logisch, zuerst über den Entstehung dieser plötzlichen || Veränderung, sodann über die Folgen derselben sprechen. Doch bitte ich Dich, von dem, was ich Dir von Herzenszuständen etc. schreibe, gegen Niemand zu schwatzen, da es mir könnte übel gedeutet werden; aber ausschütten muß ich mich u. da bist dann freilich in der Regel Du der Unglückliche, vor dem ich mein langweiliges Zeug auskrame; bitte, entschuldige mich deshalb. Also um zu beginnen, lebte ich vor den Weihnachts-Ferien in der bestimmtenf Hoffnung und demg Glauben, daß ich von Ostern ab in Berlin studiren würde, obgleich ich ein düsteres Ahnen hatte, daß das wohl eigentlich dem Anfänger, und noch dazu dem so stümperhaften, nicht zu rathen sei. Da komme ich zu Weihnachten zu meinem Bruder nach Schkeuditz, der unterdeß einen Brief von meinem Onkel in Berlin erhalten hat, welcher nur de me handelt, und zwar die Gründe auseinandersetzt, weshalb es nicht gut wäre, wenn ich jetzt schon jetzt nach Berlin ginge und dafür Halle obenan stellt. Sofort war ich entschlossen, jetzth nicht nach Berlin zu gehen; aber nach Halle? – Nein! Ich fragte nach andern Universitäten. Doch keine erwies sich so gut als Halle, u. es blieb dabei, was schon im ersten Briefe weitläufig besprochen war: in Halle ist Knoblauch, Physiker; in Halle ist Heinze, Chemiker; nach Halle kommt Girard, Mineralog; in Halle ist Burmeister, Zoologe. Knoblauch u. Girard sind gute Bekannte meines Onkels, „auf welche er für mich rechnet“. Die angeführten Professoren sind alle vortrefflich, haben guten Ruf. – Was läßt sich also thun? Man ist zu verständig, um eigensinnig zu sein; also ist Halle das erwählte Ziel. Diese Aussichten werden Dir gewiß sehr annehmbar u. gut scheinen; auch sind sie es im Grunde. Mein Onkel ist wirklich sehr fürsorgend für mich gewesen und immer noch; ich mag Dir nicht auseinandersetzen, wie ich ihn liebe, wie viel ich ihm verdanke (schon das: daß ich überhaupt studiren kann). Schon das könnte mich bestimmen, ihm blindlings zu folgen, um wie viel mehr, da ich die gute Absicht einsehe u. Nichts entgegenzustellen habe.

Aber was scheert sich ein angehender Student um Leute, „auf welche er rechnen soll“ u. kann? Leute, die wenn sie finden, || wie dumm man ist, froh sind, einen mit bester Gelegenheit wieder loszuwerden? – Sodann – doch genug, ist doch Alles blos Eigensinn. Ich laborire freilich schon 14 Tage und länger dran, werde ihn auch endlich überwinden, aber ich hätte nicht gedacht, daß es mir so sauer werden könnte. Ich verlange nicht, daß Du mir auf dies ganze Gewäsch antwortest, ’s ist schon wahrlich viel verlangt, wenn Du’s durchlesen sollst. Doch das hast Du, denke ich, verziehen. Schreib mir in Deinem nächsten Briefe je mehr Fremdes desto besser. Und damit genug über dies Kapitel von Katzenjammer etc.; weiß ich doch überhaupt nicht, ob ich Grund habe, darüber zu klagen, daß ich da u. da studiren soll, während es fraglich ist, ob ich studiren werde zu Ostern. –

Die Anhalteschreiben zum Exameni sind fertig und werden morgen eingereicht. – Nun noch eine traurige Neuigkeit: der kleine Magister Steinmetz ist vorigen Mittwoch Nachmittag gestorben u. heute beerdigt worden. Er hat, wenn Du’s nicht weißt, die Wassersucht gehabt, ist doch sehr schön und schmerzlos gestorben. Der begleitende Zug war (durch Bürger, Studenten u. Schülerj) außerordentlich lang; es freute mich, daß so viele Theilnahme sichtbar war. –

Nun eile ich zum Schluß, bringe aber zuvor noch eine Frage. Kannst Du’s nicht machen, daß wir uns zu Ostern, wenn Du nach Hause reist, einen Tag in Halle sehen; es gäbe da so Manches noch zu erzählen, was sich so nicht schreiben läßt (auch über obiges Kapitel), u. außerdem wäre es doch sehr hübsch, wenn wir uns als (hoffentlich) neue Menschen wiedersähen. – Ich wünschte, Du könntest Deinen Pathen Ernst Osterwald sehen, das ist ein prächtiges Kind, wie mir noch kaum eins vorgekommen ist; Mariechen Osterwald ist stellenweise ungezogen.

Doch Adieu. Ochse nicht zu viel, und sei gegrüßt von

Deinem alten treuen Ernst Weiß

À propos. Wo ist denn eigentlich Bunsen?k ||

Physik u. Chemie bleibt bei mir doch immer die Hauptsache; aber Botanik hörte ich auch gern bei einem guten Professor.l

a eingef.: in Folge; b gestr.: heute; c eingef.: mit gewissen Herzensjungen; d gestr.: (xxx); e gestr.: so; f gestr.: xxx; eingef.: bestimmten; g eingef.: dem; h eingef.: jetzt; i eingef.: zum Ex.; j eingef.: Studenten u. Schüler; k Text mit Bleistift am linken Rand von S. 4, um 90° gedreht: À propos … Bunsen?; l Text mit Bleistift am linken Rand von S. 2, um 90° gedreht: Physik u. Chemie … P.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.01.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 16630
ID
16630