Siebold, Carl Theodor Ernst von

Carl Theodor Ernst von Siebold an Ernst Haeckel, München, 10. Februar 1878

München den 10ten Februar

1878.

Mein theurer Freund!

Damit sich unsere Briefe nicht etwa wieder kreutzen möchten, wie ich es im vorigen Jahre erlebte, ergreife ich jetzt schon die Feder, um Dir meine aufrichtigsten Wünsche zu dem bevorstehenden 16ten Februar zu senden und hoffe ich, nachdem ich lange kein geschriebenes Lebenszeichen von Dir erhalten habe, daß diese Zeilen Dich, Deine liebenswürdige Frau und Deine lieben Kinder im besten Wohlsein antreffen. Auch ich kann, was meinen alten Körper betrifft, nicht klagen; die leidige Gicht, die mich seit einigen Jahren mit entsetzlich schmerzhaften acuten Anfällen vielfach gequält hatte, ich wahrscheinlich durch den Einfluß einer Badecur, die ich bereits sechs hintereinander wiederholt habe, so abgeschwächt worden, daß sie mich seit 1½ Jahr durchaus verschont hat, was mich außerordentlich erfreut. Ich will mich deshalb nicht völlig beruhigt zeigen, wer weiß ob das Gichtsgespenst nicht doch in seinem Versteck lauert, um über mich herzufallen. Einstweilen will icha schon aus reiner Pietät der wohlthätigen Wassernixe in Wildbad regelmäßig meinen Tribut bringen und mit meinem jährlichen Besuch so lange, als es mir erlaubt bleibt, fortfahren.

Hoffentlich hast Du Deine Ausflüge, nachdem Du und Deine liebe Frau München (für mich zu früh) verlassen, zur Zufriedenheit und nach Wunsch zu Ende gebracht und bist jetzt wieder, umgeben von lernbegierigen und strebsamen jungen Zoologen, in voller Thätigkeit. ||

Du wirst mir nun nicht übelnehmen, wenn ich hier die Gelegenheit ergreife, mich bei Dir nach einem Deiner Schüler zu erkundigen, über dessen Carakter und dessen Begabung ich nicht klar sehe, den ich aber nur aus Briefen näher kennen gelernt habe, freilich in einer sob bedenklichen Art und Weise, so daß ich mich veranlaßt sehe, Dich zu bitten, mich zu orientiren über einen jungen Mann, dem ich nicht Unrecht zufügen möchte, indem ich ihnc vielleicht zu hart beurtheile. Ich meine nämlich Jaques von Bedriaga, der vor ein Paar Jahren in Jena studirt und promovirt hat. Nachdem ich (Wiegmann’s Archiv, Jahrg. 44, Heft 1. 1878 pag. 122) dessen Aufsatz: „Vorläufige Bemerkung über das Begattungsorgan der Tritonen“ gelesen habe, fiel mir schon die dürftige Literatur auf, welche derselbe citirt, (außerdem auch unrichtig z. B. Du Fayio statt einfach Du Fay, und d dessen Arbeit in den Hist. de Acad. etc. pag. 27 statt 135), das will ich alles entschuldigen, da ja der Aufsatz eine „Vorläufige Bemerkung“ sein soll. Dennoch konnte ich es nicht unterlassen, da mich die Urodelen von jeher stets lebhaft interessiren, Herrn v. Bedriaga zu fragen, warum e derselbe nicht an spätere Arbeiten seines Themas erinnert hätte, nämlich an Finger’s Dissertation: De Tritonum genitalibus eorumque functione, Marburgi, 1840, in welcher der Verfasser die Begattungsorgane von Triton ♂ sehr schön abgebildet habe, und an meine Arbeit über das receptaculum seminis der Salamandra ♀ (in der Zeitschr. f. w. Zool. 1858)? Was erhalte ich zur Antwort? Unterm 7/12 77 schreibt er mir, daß derselbe meine || Abhandlung wohl gekannt habe, er habe dieselbe auch citirt und alles bestäthigt, was ich gesehen, mir gebührte von seiner Seite der Dank, daß ich ihm den Standpunkt klargemachtf über den Reproduktions-Akt der Urodelen, leider sei seine Dissertation, die er in Jena als Manuscript eingereicht, nicht gedruckt worden.

In Bezug auf sein Nichterwähnen der Finger’schen Dissertation, welche Stannius bereits 1846 in unserem Lehrbuch der vergl. Anatomie mehrmals citirt hat, gestand Bedriaga mir, daß er dieselbe nicht gekannt habe und daß er g davon absehen wolle, dieselbe zum Durchlesen von mir zugesendet zu erhalten.

Erstaunt war ich nun, als mir derselbe am 30ten Januar ein größeres Manuscript überschickte, welches über das Begattungsorgan der Tritonen handelt, mit der einfachen Bitte: pag. 10, 11 und 12 zu lesen und meine Meinung darüber offen sagen zu wollen. Diese Seiten enthielten ein weitläuftiges Lob oder vielmehr eine Lobhudelei über meine Abhandlung des receptaculum seminis der Urodelen betreffend. Ich las natürlich auch noch den übrigen Theil des Manuscripts und war abermals erstaunt über folgende Erklärung:

Derselbe bespricht das, was ich über Finger’s Mittheilugen über das Begattungsorgan der Tritonen besprochen hatte und fügt hinzu, daß ihm diese Bemerkungen von mir in meiner früheren Abhandlung (über das receptaculum seminis) bei Abfassung seiner „Vorläufigen Bemerkungen“ entgangen sei, und setzt dann hinzu: „Finger’s Dissertation habe er gelesen und mit Genugthuung daraus ersehen: „Finger habe (Bedriaga’s)h auf selbstständigem Wege gemachten Beobachtungen bestätigt.

Was soll man zu solchen Äußerungen sagen? Ich habe Herrn Bedriaga das Manuscript zurückgesendet und mich dahin geäußert, daß ich mich nicht freu-||en könnte, wenn er dieses Manuscript drucken lassen würde. Verzeihe mir, wenn ich Dich mit dieser Mittheilung gelangweilt habe. Es geschah nur, um Dich zu überzeugen, daß ich Grund habe, über den Carakter dieses Naturforschers im Unklaren zu sein, hoffend, Du könntest mich über meine Unklarheit eines Besseren belehren.

Ehe ich meine Epistel schließe, möchte ich Dir noch mittheilen, daß ich mich bei einem Philologen hier erkundigt habe, ob Du nicht das Recht gehabt hättest, die Bezeichnungen Ontogénie und Philogénie zu wählen und in dem Sinne zu nehmen, den Du diesen Kunstausdrücken unterlegst. Monsieur Fol (in den Archives de Zool. experiment. Tome VI Année 1877, nr. 2, pag. 145) will Dich korrigiren und Deinen Namen Ontogénie in Hénogénie als richtiger umgewandelt wissen. Die Anmerkung des Herrn Fol beweist, daß er sich bei keinem sachverständigen Philologen sich Rath erholt hat, sein Wort Hénogénie bezieht sich nur auf die Zahl „ein“ dagegen Ontogenie bedeutet das, was Du meinst: „Individuum“. Es scheint demnach Fol’s Verbesserung ontogenetischen Ursprungs zu sein.

Mich noch oft unseres Zusammenseins während der hiesigen Naturforscher-Versammlung mit größtem Vergnügen erinnernd, bedaure ich noch immer, daß Ihr sobald verschwunden seid. Indem ich Dich nun noch bitte, mich Deiner verehrten Frau Gemahlin auf das freundlichste zu empfehlen, und den Wunsch hinzufüge, Du möchtest in ungestörter Freude Dein Wiegenfest im Kreise Deiner lieben Familie verleben, unterzeichne ich mich als

Dein Dich hochschätzender

und aufrichtig

ergebener Freund

Carl v. Siebold.

a eingef.: will ich; b eingef.: so; c eingef.: ihn; d gestr.: außerdem; e gestr.: sich; f eingef.: klargemacht; g gestr.: von; h eingef.: (Bedriaga’s)

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
10.02.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15340
ID
15340