Scheffauer, Herman

Herman Scheffauer an Ernst Haeckel, London, 3. Januar 1915

London, Januar 3, 1915

Lieber Meister,

Ich muss Ihnen in diesen traurigen Zeiten auf Umweg schreiben – so geht dieser Brief zuerst nach Neu York. Bitte, wenn Sie Zeit dazu finden mich dort zu addressieren per addresse,

Mr. Alfred Levinger,

c/o Eugene Meyer and Co., 14 Wall Street,

New York City, U.S.A.

Ich habe gelesen was Sie so stark und geistreich ueber den Krieg geschrieben haben. Man schickte es mir aus Amerika – auch citierten es verschiedene Londoner Zeitungen. Sie sind absolut im Recht, und ich stimme im Ganzen mit Ihnen ein. Ich habe gesehen wie der Krieg sich hier entwickelt hat – wie dass dumme und ganz gleichgültiges Volk von der abscheulichen gelben Presse Englands zu einem Wut herangepeitschta wurde, wie nur keine Ursache da war um eine Moralistische Färbung dem Krieg zu geben, bis die Neutralität Belgiens als Pretext erfunden worden ist. Das ganze Land wurde wie mit einer Tobsucht ueberfallen. Alle Englander die fuer Frieden sprachen wurden als unpatriotisch oder pro-German gekennzeichnet – obgleich es derer mehrere gab und noch giebt, b edele Leute wie Ramsay MacDonald, E. D. Morel, C. H. Norman, Allan Clifford, die Zeitung „Labour Leader“ und „New Age“ und etliche andere Leute, darunter auch Kier Hardie. Aber im Allgemeinen ist das Land von der allerschlimmsten Jingoes regieret. Das Volk weiss nichts von Deutschland oder den Deutschen, obgleich ich glaube dass ihnen dass Mass schon tüchtig uebergangen ist, und die jetzt mehr Respekt von Deutschland haben als je zuvor.

Was England anbetrifft, so ist es sicher ein Krämerskrieg. Sobald Krieg erklärt wurde, schrieen die Zeitungen: „War on Germany’s Trade!“ und das elende Pack wollte die Patente und andere Sachen ausbeuten.

Man meinte dass die Deutsche Flotte sofort vernichtet wurde, und dass der Krieg in ein oder Zwei Monaten enden wurdec. Aber die erstaunenswerten Leistungen der Deutschen haben jetzt die ganze Nation mit einem tragischen Nebel ueberflutet. Was mich am meistens ekelte war das abscheuliche Luegen Propaganda mit welcher die Englische Presse die Welt uebergoss – die Wirkung war sehr schlimm in Amerika – wo man naturlich alle diese Luegen zuerest glaubte – da der Amerikaner ebenso wenig oder noch viel weniger von Europaischen Verhältnissed versteht als der Englander. Die „Times“, „Herald“, „World“ von Neu York sind wahrscheinlich mit Englischen Gelde bezahlt die Sache gegen die Deutschen zu führen. Aber jetzt giebt man auch etwas Aufmerksamkeit fuer die Deutsche Sache.

Als Buerger einer neutralen (!) Nation darf ich hier natürlich nicht offen auftreten – schon wegen mein Names nicht. Aber ich mache auch auf || Umwegen eine starke Propaganda fuer die Wahrheit – hier und in Amerika. Ich habe schon viele Resultate meiner Schreiberein gesehen – den auf die heuchlerischen Seelen der Engländer kann man wuchtige Hiebe geben wenn man ihre Psychologie versteht – ditto bei den Amerikanern. Man muss diese Leuten auf den richtigen Wege anpacken. Das Boese Gewissen ist eine vernichtende Macht bei ihnen wenn man es richtig ins Herz trifft. Die Ausagungene der Englischen Schriftsteller und Gelehrten sind lächerlich – ich habe schon mehrere heftig den Caraus gemacht. Alle Prinzipien der Gerechtigkeit und der Wahrheit haben diese Leute ueber Bord geworfen. Sir Ray Lankester zum Beispiel.

Ich glaube es wäre Vorteilhaft wenn Sie dem Herrn William Randolph Hearst, „The New York American“, New York City, einen offentlichen Brief schreiben wurden ueber die Stellung Deutschlands. Er ist mit seinen vielen Zeitungen eine starke Macht in Amerika, und gar nicht Anglophil. Besonders sollte man Aufdruck auf diese Wahrheit legen, nämlich dass es ein Verbrechen ist gegen die Civilization und gegen ein fortschreitenden Volkes wie Deutschland f die natürliche Entwicklung zu hemmen – wie es England und Frankreich schon so lange versuchten. Selbst die Engländer sehen jetzt ein dass ihre Kurzsichtige Kolonial-Politik eine verderbliche war. Dieser Punkt, glauben sie mir, ist eine sehr wichtiger, und Deutschland soll kein Frieden schliessen bis die Sicherheit des Landes und seine zukünftige Entwicklung festgestellt sind. Wenn alle Deutsche Zeitungen diesen Punkt und dieses Prinzip wiederholt und wiederholt betonen, so wird es ein riesiger und gunstiger Effekt auf das Gewissen der Welt ausüben – beig Feinde sowie auch bei Freunde. Ich wünschte dass ich nur die Deutschen Aussagungen die richtige Englische Form geben konnte! So viel hängt davon ab. Man sollte die Worte so schmieden, dass sie wie Hacken in die Hirne und Herzen dieser Leute stecken bleiben.

Die Prestige Deutschlands ist schon mächtig gestiegen – die Englands und Frankreichs und Russlands gesunken. Alle Siege und alle Niederlagen sind relativ. Deutschland ist ein heroisches Land – und seine Gegner im allen ueberlegen – obgleich seine Diplomatie vielleicht zu offen und ehrlich war.

Schreiben Sie mir (wie oben) und lassen Sie mir wissen ob ich Ihnen behülflich sein kann. Natürlich muss mein Namen privat gehalten werden. Ich selbst bin hier nicht belästigt worden, obgleich meinen Namen nach etwas Verdacht erweckte.

So viel möchte ich gerne mit Ihnen uebersprechen dass ich kaum schreiben kann. Auch die Post hier ist nicht mehr sicher. Ich(und dazu gesellt sich auch meine Frau,) wünscheh Ihnen alles gute, und wir wollen hoffen das die schwere Zeit bald vorueber ist, und Deutschlandi sich verstärkt wieder auffinden mag. Mit allerherzlichsten Grüssen,

Ihr getreuer Discipulusk aus dem fernen Westen.

a korr. aus: herangepeithscht; b gestr.: edle; c korr. aus: wurden; d korr. aus: Verhältinisse; e korr. aus: Ausagungenn; f gestr.: ist den; g korr. aus: beim; h korr. aus: wünschen; i korr. aus: Dutschland; k korr. aus: Discppulus

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.01.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10319
ID
10319