Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 12. Februar 1854

Halle, am 12. Februar 1854.

Mein vielgeliebter Ernst!

Solltest Du vielleicht meine Hand noch kennen? Ich will es hoffen, wenngleich von Deiner Seite ein riesiges gedächtniss dazu gehört. Wann ich Dir zum letzten mal schrieb? Ich weiss es nicht; um so lebhafter erinnere ich mir der stunden, die wir in unserem salzbrennenden Halle verlebten, als Du Dir das vergnügen machtest, als eifriger physiolog die wirkungen des Lichtenhainers am menschlichen gehirn-organismus ganz aus der nähe zu beobachten. Aehnliche beobachtungen hast Du vielleicht vergangenen sommer so manch einmal im Mainthal machen können, und wenn auch nicht am nord-deutschen wiesen- u. sumpfgetränk Lichtenhainer, so doch am hitzigen bock-bier. Wahrlich wer es gut so gut hätte wie Du, so recht im billigen bierlande. Solltest Du mir vielleicht einmal schreiben, so vergiss nicht mir in der kürze die bier-preise zu schreiben; ich amüsire mich schon am Preis-courant. Bei einem seidel bier Donnerstag den 16. februar ein donnernd hoch auf Deinen geburtstag! He lustig, Bruder; vor zwei Jahren saßest Du im Katzenjammer, ach weh! Voriges jahr halb lahm und in die zukunft blickend das auge von thränen getrübt, au weh! Dieses jahr ein flotter, kreuzfideler Studio, juch he! der sich seines lebens freut. Übers jahr, wer weiß, wie es da aus sieht; doch was kümmert uns das, unser ist der augenblick.

Ich bin wirklich froh, daß endlich Dein geburtstag gekommen ist. Schon lange wollte ich Dir schreiben, aber wenn man einmal ein Vierteljahr gewartet hat, dann giebt man wochen, monden zu, || und bricht sich endlich die brücke der correspondenz ab. Für diesesmal nicht rettungslos, denn Dein geburtstag winkte mir schon lange als freundlicher rettung-stern. Zürne mir nicht, mein alter freund, und nimm meinen geburtstagswunsch nicht verstimmt an, denn er kostet dich ja keinen briefträger-sechser; und laß Dich nicht verdriessen, daß durch die schleusse der Ernst Weiss‘schen correspondenz sich dieser ungebetene, ungehobelte schalk mit einschmuggelt. Ach was, heute mußt Du viel verdauen, heute kann ich Dir schon was bieten.

Vergangene woche war Merseburg voll des hehrsten katzenjammers; doch das kann Dir Weiß besser als ordentliches mitglied der kater-gesellschaft berichten. Ich will Dir Hallica mittheilen, was Du aber höchstwahrscheinlich schon alles weisst. Wiegner ist seit Michaeli nach Berlin übergesiedelt; Gasch ist krank und bringt dies semester in Merseburg zu. Max v. Henkel war Weihnachten über als militair in Merseburg, Koch ist als Feldjäger bei Sangerhausen, der Pabst (Künzel) ist der höhere candidat, Hetzer u. Weber (et Compag.) ist Dir eine wohlbekannte firma, und Dein Ludwig vegetirt noch ohne hoffnung irgend einmal zu examiniren. Heute vor 4 wochen begruben wir den kleinen Steinmetz.

Von Deinen frühern stubenburschen, Eichhoff u. Meier kann ich Dir berichten, dass sie sehr flotte Alt-märker-füchse spielen. Letzterer hatte neulich bei einer vertheilung von unterschriften bekommen:

nolens volens ebrius,

und ersterer:

mole ruit sua; (äußerst bezeichnend!)

Was machen Deine studia? Du glücklicher, der Du sogleich von vornherein einen bestimmten plan hattest, und ihn ungestört hast verfolgen können. In dieser beziehung bin ich sehr unglücklich. || Mein sinn steht nämlich auf geschichte; und eigentlich schon sofort als ich umsattelte. Aber Osterwald rieth mir und Andere, ja in der philologie das examen zu machen; nämlich weil man ohne facultas in letzterer keine rector-stelle annehmen kann. Überhaupt kommt bekommt ein lehrer, welcher die facultas in der philol. für die obern classen und die facultas in der geschichte für die mittlern hat, ebenso leicht die geschichts-stunden, als einer, welcher sie in der geschichte für die obern, und in der philologie für die mittlern hat, und steht sich in sachen der anstellung viel besser. In beiden die facultas für die obern classen zu erstreben, wäre unsinn und verwegnes erkühnen, da man mit einer genug zu thun hat. Mithin sind mir zwei wege offen, der eine mit bessern materiellen aussichten, aber dann kann ich geschichte stets nur als lieblingswissenschaft nebenbei betreiben, der andere mit der abschreckenden aussicht auf einen kümmerlichen wirkungskreis, aber so beschaffen, dass ich dann meine lieblingswissenschaft als fachwissenschaft, von grund aus studiren kann. Jenen weg einzuschlagen, wäre ich meinen aeltern schuldig, um durch eine spätere gute anstellung mir die mittel zu verschaffen, ihnen für ihre aufopferungswilligkeit ein sorgenfreies alter bieten zu können und meinem bruder beizustehen; den letztern weg einzuschlagen dagegen treibt mich meine neigung. Und ihn gedenke ich zu verfolgen, mag es nun kommen wie es will. Ich denke: der zug des herzens ist des schicksals stimme.

Feiere vergnügt Deinen geburtstag, erinnere Dich mit mir jener vergangenen glücklichen zeiten, wo das starre leben noch nicht mit seinen oft verletzenden ansprüchen an die jugend-freuden und wünsche und träume heranreichte, und sei der aufrichtigen liebe versichert

Deines

treuen Ludwig. ||

Herrn studios. medic. | Ernst Häckel | in | Würzburg.

Brief Metadaten

ID
2314
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Preußische Provinz Sachsen
Datierung
12.02.1854
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
13,4 x 21,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2314
Zitiervorlage
Finsterbusch, Ludwig an Haeckel, Ernst; Halle; 12.02.1854; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_2314